Internationales Lernnetzwerk für die Industrie 4.0

03. April 2023: Von Thorsten Krämer, Studiendirektor Berufskolleg Technik Siegen, Kreis Siegen Wittgenstein

Wie bekommen wir die Industrie 4.0 in die Schule? Für das Berufskolleg Technik in Siegen sucht Berufsschullehrer Thorsten Krämer Antworten. Dabei spielt die ERASMUS+ Partnerschaft mit Berufsschulen in den Niederlanden eine wichtige Rolle.

Fachkräfte für die Zukunft der Industrieproduktion auszubilden, ist eine große Herausforderung für berufliche Schulen. Unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ ranken sich ganz unterschiedliche Vorstellungen. Konzepte einer digitalisierten „intelligenten“ Fabrik, in der Computer, Maschinen und Mitarbeiter kommunizieren und sich gegebenenfalls sogar selbst optimieren, sind in den meisten Ausbildungsbetrieben kein Standard, sondern eher ein Entwicklungsziel.
Dennoch können Azubis der industriellen Metall- und Elektroberufe am Berufskolleg Technik in Siegen heute schon die künftige Industrie 4.0 erproben. Denn Fachleiter Thorsten Krämer hat sich für die Anschaffung einer modellhaften Lehranlage, einer so genannten Smart Factory, eingesetzt. Das „Industrie 4.0 Lab“ besteht aus einer Fertigungsstraße und Rechnern, von denen aus diese gesteuert wird. So lassen sich essentielle Arbeitsabläufe eines modernen Fertigungsbetriebs simulieren und steuern. „Aktuell entwerfen Azubis einen Fertigungsprozess für eine Powerbank. Dafür werden Förderbänder und Roboter programmiert um zu messen, labeln, bohren, kleben und die Platine einzulegen“, erzählt Krämer.


Thorsten Krämer (mit Brille) zeigt den Schülerinnen und Schülern die Funktionen einer Smart Factory.
Quelle: Berufskolleg Technik Siegen

Das Besondere dabei ist: Alle diese Prozesse werden als „digitaler Zwilling“ der Anlage zunächst auf dem Rechner geplant. Mit einem Schüler hat Berufsschullehrer Krämer zudem einen Sensor für die Powerbanks entwickelt, der Daten zu Temperatur, Erschütterungen und Beschleunigung liefert. „Erhöhte Temperaturen lassen etwa auf Reibung schließen“, erklärt Krämer. „So kann man zum Beispiel langfristig vorhersagen, ob die Anlage ausfallen kann. Die Schüler lernen am Modell wie Industrie 4.0 optimal funktioniert.“  

Gemeinsam Aufgaben in virtuellen Projekten lösen
Um die Lehre für die Industrie 4.0 am Berufskolleg weiterzuentwickeln, ist es für Thorsten Krämer wichtig, Ideen und Erfahrungen zu teilen. Seit Herbst 2021 tauscht er sich im Rahmen eines Erasmus+ Projektes mit Berufsschulen aus dem Niederländischen Doetinchem aus.
Auch an den niederländischen Berufsschulen gibt es Lehranlagen für die Industrie 4.0. Aber anders als die Siegener Azubis, lernen die niederländischen Schüler­­­innen und Schüler die gesamten Anlagen auch selbst aufzubauen, Sensoren einzusetzen und zu programmieren.


Die „Mini“-Fertigungsstraße im „Industrie 4.0 Lab“ am Berufskolleg Technik in Siegen.
Quelle: Berufskolleg Technik Siegen

Gerade haben er, der didaktische Leiter Stefan Weidmann und die niederländischen Kolleginnen und Kollegen ein gemeinsames virtuelles Projekt eingerichtet, in dem Schülerteams beider Länder eine Fertigungsstraße mit Sensorik auf dem Rechner einrichten müssen. Ihre Ergebnisse haben sie sich auf einem virtuellen Treffen im letzten Jahr präsentiert. „Eine zusätzliche Herausforderung für unsere Schüler und Schülerinnen war es die Präsentation auf Englisch durchzuführen.“ Eine Situation, die im Berufsalltag durchaus häufiger vorkommen kann – eine gute Übung also.
„In niederländischen Berufsschulen ist alles vernetzt, überall WLAN, Netzzugänge, alle haben ihr eigenes Notebook. Über diese Geräte wird alles abgewickelt, Schülerinnen und Schüler planen, skizzieren und präsentieren“, schwärmt Thorsten Krämer. Lernen könne man von den Niederländern auch, positiv an eine neue Aufgabe heranzugehen, einfach anzufangen. Für den Fachleiter und die Schülerinnen und Schüler des Berufskolleg Technik ist die internationale Zusammenarbeit sehr bereichernd, weil man von der Art und Weise, wie die niederländischen Partner an Projekte herangehen, noch viel lernen kann.

Projekt von Bundesinstitut für Berufsbildung ausgezeichnet
Das Berufskolleg Technik des Kreises Siegen Wittgenstein ist seit diesem Jahr im ERASMUS+ Programm im Bereich berufliche Aus- und Weiterbildung von der NABIBB (Nationale Agentur beim Bundesinstitut für Berufsbildung) als Führer eines Konsortiums aus mehreren technischen Berufskollegs akkreditiert. Dem Akkreditierungsantrag liegt das gerade beschriebene internationale Unterrichtsprojekt aus dem Bereich "Industrie 4.0" zugrunde und wurde mit 97/100 Punkten bewertet. Besonders hervorgehoben wird der innovative, organisationsübergreifende Entwicklungsprozess, der sehr gute Ergebnisse sowohl auf der Ebene der Lernenden und des Bildungspersonals als auch auf der institutionellen Ebene erzielt.
Für Juni 2023 planen Thorsten Krämer, Stefan Weidmann und ihre niederländischen Partner auch einen 14-tägigen Ersamus+ geförderten persönlichen Austausch in den Niederlanden. Acht Schülerinnen und Schülern werden das BK in Doetinchem besuchen. Der Besuch der niederländischen Lernenden in Siegen erfolgt im November.
Auch internationale virtuelle Schülerteams werden in diesem Projekt im gemeinsamen Unterricht zusammenarbeiten und lernen. So gesehen ist das Erasmus+ Projekt auch ein Schub für die Digitalisierungsstrategie des Berufskollegs Technik. Denn Digitalisierung bedeutet für den Lehrer in Hinblick auf Industrie 4.0 nicht nur, die Technik bereitzustellen, sondern vor allem auch die digitalen Möglichkeiten für einen konstruktiven Austausch von Ideen und Daten für die kreative Zusammenarbeit von Teams zu nutzen.
Das Berufskolleg Technik in Siegen wird in den kommenden Jahren den internationalen Austausch von Lernenden und Lehrenden kontinuierlich weiter ausbauen. So findet derzeit bereits ein Erasmus+ gefördertes und von der EU-Geschäftsstelle der Bezirksregierung Arnsberg unterstütztes 6-wöchiges Auslandspraktikum einer Siegener Schülerin im Bereich der Gestaltungstechnik in einer Schule und einem Betrieb in Tokio, Japan, statt.

Hintergrund: Was ist Erasmus+?
Erasmus+ ist das EU-Programm zur Förderung von allgemeiner und beruflicher Bildung, Jugend und Sport in Europa. Schwerpunkte des Programms sind soziale Inklusion, der grüne und digitale Wandel und die Förderung der Teilhabe junger Menschen am demokratischen Leben.

Erasmus+ unterstützt Prioritäten und Aktivitäten, die im europäischen Bildungsraum, dem Aktionsplan für digitale Bildung und der europäischen Kompetenzagenda festgelegt sind.
Das Programm

  • unterstützt außerdem die europäische Säule sozialer Rechte,
  • setzt die EU-Jugendstrategie um und
  • fördert die europäische Dimension des Sports.

Erasmus+ bietet Mobilitäts- und Kooperationsmöglichkeiten in folgenden Bereichen:

  • Hochschulbildung,
  • berufliche Aus- und Weiterbildung,
  • Schulbildung (einschl. frühkindlicher Betreuung, Bildung und Erziehung),
  • Erwachsenenbildung,
  • Jugendarbeit und
  • Sport.