10 Jahre KAoA
Im November 2021 wird die Entscheidung, ein aufeinander aufbauendes System für den Übergang von der Schule in Ausbildung in Nordrhein-Westfalen zu schaffen, zehn Jahre alt. Getroffen wurde der Beschluss im Ausbildungskonsens – einem Gremium, in dem sich die Landesregierung, die Organisationen der Wirtschaft, die Gewerkschaften, die Arbeitsverwaltung und die Kommunen 1996 zusammengeschlossen haben. Seitdem setzt er sich dafür ein, dass junge Menschen in Nordrhein-Westfalen, die ausgebildet werden wollen, eine größere Chance auf einen Ausbildungsplatz erhalten.
Gern möchte ich an dieser Stelle die Gelegenheit nutzen und mich bei den Vertreterinnen und Vertretern der Kreise und kreisangehörigen Kommunen und den Mitarbeitenden bei den Kommunalen Koordinierungsstellen dafür bedanken, dass sie seit vielen Jahren die Landesinitiative „Kein Abschluss ohne Anschluss“ (KAoA) mit so hohem Engagement umsetzen. Sie alle tragen dafür Sorge, dass unsere jungen Menschen in Nordrhein-Westfalen gute Startmöglichkeiten in die Arbeitswelt erhalten. Auch wenn wir gemeinsam schon vieles erreicht haben, brauchen wir auch weiterhin motivierte Gestalterinnen und Gestalter für die konkrete Umsetzung vor Ort.
So funktioniert „Kein Abschluss ohne Anschluss"
Ziel von KAoA ist die frühzeitige Unterstützung junger Menschen bei der Beruflichen Orientierung, bei der Berufswahl und beim Eintritt in Ausbildung oder Studium. KAoA wurde schrittweise aufwachsend ab dem Schuljahr 2012/2013 in den 53 Kreisen und kreisfreien Städten eingeführt. Seit dem Schuljahr 2016/2017 beteiligen sich alle öffentlichen Schulen ab der 8. Klasse, sodass heute pro Schuljahr etwa eine Million Schülerinnen und Schüler in den Sekundarstufen I und II erreicht werden. Schülerinnen und Schüler mit Behinderungen oder Bedarf an sonderpädagogischer Unterstützung werden dabei genauso einbezogen wie junge Neu-Zugewanderte.
Der Prozess der Berufsorientierung gliedert sich in verschiedene Module. Diese werden als „Standardelemente“ bezeichnet. Alle Jugendlichen starten mit einem Standardelement, dass sich „Potenzialanalyse“ nennt. Die Jugendlichen absolvieren dabei verschiedene Aufgaben, die ihnen helfen sollen, ihre Stärken, Fähigkeiten und Interessen zu entdecken. Sie erhalten dadurch eine erste Orientierung, die ihnen zum Beispiel bei der Auswahl der Praktika helfen kann.
Es folgen Praxisphasen wie Schnuppertage und Praktika in Betrieben, in deren Rahmen die Jugendlichen frühzeitig Einblicke in die betriebliche Praxis bekommen. Dabei erhalten die Jugendlichen mit Förderschwerpunkten oder Unterstützungsbedarfen eine an ihre individuelle Situation angepasste Durchführung. Das kann zum Beispiel bedeuten, dass ein Jugendlicher mit einem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung sein Praktikum statt bei einem Unternehmen bei einem ausgewählten Bildungsträger absolviert und dabei begleitet und unterstützt wird.
Für die Durchführung von KAoA stehen jährlich rund 50 Millionen Euro zuzüglich 762 Stellen für Lehrerinnen und Lehrer zur Verfügung, die sich aus Mitteln des Landes Nordrhein-Westfalen sowie aus Mitteln des Bundes, der Regionaldirektion der Agentur für Arbeit und der Landschaftsverbände Rheinland und Westfalen zusammensetzen.
Zusätzlich gibt es Programme, um Jugendliche, die sich ohne Unterstützung schwertun, bei der Einmündung in eine Ausbildung besonders zu fördern. So beraten und begleiten Berufseinstiegsbegleiterinnen und -begleiter Schülerinnen und Schüler mit Unterstützungsbedarfen beim gesamten Prozess der Berufsorientierung. Dabei stehen für Jugendliche mit besonderen Schwierigkeiten weitere Angebote zur Verfügung. Eines davon ist das „Werkstattjahr“. Dieses findet bei speziell ausgewählten Bildungsträgern statt. Es umfasst in der Regel zwölf Monate und verknüpft betriebliche Praxisphasen mit trägergestützten Phasen von praktischem Arbeiten und Lernen. Durch eine enge Anbindung an die betriebliche Echtsituation sollen die Jugendlichen vorbereitet und befähigt werden, den Übergang in ein betriebliches Ausbildungsverhältnis zu schaffen. Möglich ist auch die Zahlung einer Leistungsprämie an einzelne Teilnehmende bei guter Leistung, um die Leistungsbereitschaft und Leistungsfähigkeit der Jugendlichen anzuerkennen und zu befördern.
Zentral ist die Verankerung vor Ort
„Kein Abschluss ohne Anschluss“ wurde von Beginn an so aufgebaut, dass die Umsetzung in allen 53 Kreisen und kreisfreien Städten erfolgt. Die Akteure in den Kreisen organisieren vor Ort den Übergang von der Schule in den Beruf und bilden dafür ein gemeinsames Steuerungsgremium. An diesem sind in der Regel neben der Kommunalen Koordinierungsstelle und den kreisangehörigen Kommunen unter anderem die Agentur für Arbeit, das Jobcenter, die Kammern und Sozialpartner, die Wirtschaftsförderung, die Jugendhilfe, die Schulaufsicht, die Schulen, die Berufskollegs und die Hochschulen beteiligt. Dadurch können regionale Gegebenheiten und kommunale Aktivitäten Berücksichtigung finden. Jeder Kreis kann dabei ein Stück weit seinen eigenen Umsetzungsweg gehen – das Subsidiaritätsprinzip findet hier klaren Ausdruck.
Zur Koordinierung der Aktivitäten gibt es in jedem Kreis „Kommunale Koodinierungsstellen“ (KoKo). Die Arbeit dieser Koordinierungsstellen wird durch das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales begleitet. Dazu finden regelmäßige Austauschtreffen sowie jährliche Kooperationsgespräche statt. Dabei liegt der Schwerpunkt darauf, den Informationsaustausch zwischen den Kommunalen Koordinierungsstellen sicherzustellen und Fortbildungsangebote bereitzustellen.
Die Kommunalen Koordinierungsstellen werden durch die Kommunen und mit europäischen Geldern aus der Landesarbeitsmarktpolitik finanziert. Zukünftig stehen für die Landesarbeitsmarktpolitik weniger Gelder aus dem Europäischen Sozialfonds zur Verfügung. Trotzdem wird sich das Land Nordrhein-Westfalen ab dem kommenden Jahr mit einem Anteil von 40 Prozent an der Finanzierung der Kommunalen Koordinierungsstellen beteiligen. Damit steht weiterhin ein wesentlicher Teil der arbeitsmarktpolitischen Mittel des Landes für die Berufliche Orientierung zur Verfügung.
Chancen und Herausforderungen
KAoA muss ein lernendes System sein. Deswegen prüft das Arbeitsministerium gemeinsam mit dem Ausbildungskonsens die einzelnen Standardelemente regelmäßig auf ihre Praxistauglichkeit und passt diese bei Bedarf an. So wurde zum Beispiel für die Schülerinnen und Schüler mit Förderschwerpunkten eine zweitägige Variante der Potenzialanalyse entwickelt, weil sich herausgestellt hatte, dass es diesen Schülerinnen und Schülern dadurch viel besser gelingt, ihre Fähigkeiten und Interessen herauszufinden.
Insbesondere in den Kreisen stellt die Umsetzung von KAoA eine Herausforderung dar. Die direkte Einbindung und Ansprache der kreisangehörigen Kommunen durch die Kommunalen Koordinierungsstellen von Beginn an war wichtig, um praktische Herausforderungen gemeinsam lösen zu können. Ein ganz konkretes Beispiel: Die Distanzen in einem Flächenkreis sind häufig viel größer als in den kreisfreien Städten und mit dem öffentlichen Nahverkehr kann nicht jedes Ziel in angemessener Zeit erreicht werden. Daher muss immer geklärt werden, wie die Jugendlichen die Orte, an denen sie ihre Potenzialanalysen oder Praktika absolvieren, erreichen können. Hier leisten die Kommunen, unterstützt von den kommunalen Koordinierungsstellen, eine wichtige Arbeit.
Die enge Zusammenarbeit der Kommunalen Koordinierungsstellen mit allen Partnern zeigte gerade in der Corona-Pandemie ihre Stärke. Wichtige Elemente der Beruflichen Orientierung, wie Schnuppertage im Betrieb oder betriebliche Praktika konnten nur sehr eingeschränkt in Präsenz umgesetzt werden. So sind vor Ort vielfältige Initiativen entstanden, um digitale Angebote in der Beruflichen Orientierung zu entwickeln und den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung zu stellen. Ziel ist, diese Angebote künftig zusätzlich zu den Präsenzangeboten zu nutzen.
Ein Ausblick in die Zukunft
Die Berufliche Orientierung junger Menschen bleibt ein längerfristiger Prozess, der von vielen verschiedenen Faktoren und Rahmenbedingungen beeinflusst wird und immer wieder eine neue Herausforderung darstellt. Aber wir bleiben dran, bis für jeden Jahrgang der Anschluss klappt – in die Ausbildung oder das Studium.
Wichtig ist mir als Arbeitsminister, dass die gemeinsamen Anstrengungen direkt bei den jungen Menschen ankommen. Dass sie eine Chance erhalten, einen Beruf zu erlernen und so einmal ihren Lebensunterhalt selbstständig sichern können. Bei den jungen Menschen, die wir gerade auch in der Schule aufgrund schwieriger persönlicher Umstände nicht mehr erreichen, müssen wir unsere Anstrengungen verstärken. Die Berufliche Orientierung kann hier eine Chance bieten, schulmüden Jugendlichen über praktische Aktivitäten Wege in eine Ausbildung und dadurch dauerhaft in ein selbstbestimmtes und zufriedenes Leben zu ermöglichen.
Die Berufliche Orientierung bietet auch eine große Chance, bei jungen Menschen Begeisterung für die duale Ausbildung zu wecken. Mit gut organisierten Praktika durch die Betriebe können die Schülerinnen und Schüler Ausbildungsberufe praktisch erleben – das ist viel spannender als nur darüber zu lesen oder sich Videos anzuschauen. Es bleibt eine große Zukunftsaufgabe, die berufliche Bildung bei der Berufsorientierung angemessen zu repräsentieren. Denn immer noch entscheiden sich zu viele Jugendliche für ein Studium, die dieses dann abbrechen. Oft finden diese Jugendlichen erst nach langen Umwegen ihr Glück in einem dualen Ausbildungsberuf. Das ist für die Jugendlichen oft mit großer Belastung verbunden – und unsere Betriebe sind auf gute Auszubildende dringend angewiesen. Daher müssen wir immer wieder prüfen, ob die Standardelemente von KAoA die Chancen dualer Ausbildungsberufe realistisch abbilden – oder ob wir an der ein oder anderen Stelle nachjustieren sollten.
KAoA wird derzeit extern evaluiert. Im kommenden Jahr erwarten wir dazu erste Ergebnisse. Diese werden wir nutzen, um das System der Beruflichen Orientierung in Nordrhein-Westfalen strukturell weiterzuentwickeln. Dabei nehmen wir Ihre Anregungen und Vorschläge gerne entgegen.
Ich bin dankbar, dass sich die Kreise so stark für die jungen Menschen vor Ort einsetzen und freue mich auf die weitere Zusammenarbeit bei der Gestaltung des Übergangs von der Schule in den Beruf.