Bekämpfungsstrategien bei der (Klassischen) Schweinepest beim Wildschwein - Ein Erfahrungsbericht aus der Eifel –

21. Februar 2018: Von Dr. Jochen Weins, Abteilungsleiter Veterinärwesen und Lebensmittelüberwachung, Kreis Euskirchen

Die Afrikanische Schweinepest (ASP) ist eine hochansteckende und damit klassische Tierseuche, gegen die bis jetzt leider noch kein Impfstoff in Sicht ist. Der vermutliche Eintragsweg des Erregers nach Deutschland wird in erster Linie wohl über Lebensmittel in die Wildschweinpopulation verlaufen. Die notwendigen Maßnahmen der Veterinärbehörden betreffen im Rahmen der Vorbeugung und späteren Bekämpfung deshalb in erster Linie den Wildtierbestand; Ansprechpartner und Adressat tierseuchenrechtlicher Anordnungen wird der Jagdausübungsberechtigte. Die Dynamik der Virusausbreitung in einer Wildtierpopulation und die praktischen und rechtlichen Schwierigkeiten der Seuchenbekämpfung bei einem anpassungsfähigen und intelligenten Bejagungsziel wie dem Schwarzwild erfordern ganz eigene Strategien. Angesichts der drohenden Afrikanischen Schweinepest lohnt daher ein durchaus intensiverer Blick auf die beim letzten großen Wildschweinepestseuchenzug gewonnen Erfahrungen, auch die mit der Jägerschaft im Konfliktfeld zwischen freier Jagdausübung, Jagdpacht, Eigentum an Grund und Boden und dem einschränkenden Jagd- und Tiergesundheitsrecht.


Überwachungsgebiet im Kreis Euskirchen
Quelle: Kreis Euskirchen

Die Klassischen Schweinepest (KSP) beim Hausschwein hatte in den Überlegungen des Kreises Euskirchen zur Tierseuchenvorsorge bis dato nie eine große Rolle gespielt, da im Münster- oder Emsländer Schweinegürtel in einer Straße bzw. einem Stall mehr Hausschweine gehalten werden, als im gesamten Gebiet des Kreises Euskirchen. Dies änderte sich dann Ende der 90er Jahre, als die KSP über eine klinisch unauffällige Schweinepestinfizierte Ferkellieferung aus Mecklenburg-Vorpommern in den Kreis Bitburg den Weg in die Eifel und letztlich in die Wildschweinepopulation gefunden hatte.  Deshalb wurden seitens des Kreises Euskirchen mit annähernd 500 qkm Waldanteil und Lebensraum für Wildschweine Ende 1999 erste Maßnahmen ergriffen. Dazu gehörten neben Informationskampagnen betroffener Bevölkerungskreise, eine intensivierte Bejagung einschließlich Untersuchung auf das Vorhandensein von KSP-Virus bzw. Antikörpern und die Einrichtung einer zentralen Wildsammelstelle im Jahr 2000.


Bilder aus der Wildsammelstelle

Quelle: Kreis Euskirchen

Aufgrund der in 2002 eskalierenden KSP-Situation in Rheinland-Pfalz beschloss das zuständige Ministerium in Mainz in Abstimmung mit dem Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV) in Bonn im Frühjahr 2002 einen neu entwickelten Impfstoff gegen die KSP beim Wildschwein einzusetzen. Hierzu bedurfte es eines komplizierten Antragsverfahrens bei der EU-Kommission in Brüssel, dem sich NRW für den Kreis Euskirchen anschloss. Die von den tierseuchenrechtlichen Vorgaben betroffenen Gebiete wurden dann in der Entscheidung 2001/161 EG veröffentlicht, auf deren Grundlage die zukünftigen Maßnahmen, insbesondere die Impfkampagnen zur oralen Immunisierung (eine Art Schluckimpfung) durchgeführt wurden. So wurden im Kreis Euskirchen von Februar 2002 bis März 2004 in annähernd 280 Revieren an über 1000 Kirrstellen bei 12 Köderauslagen jeweils über 40.000 Impfköder ausgelegt. Sämtliche Bekämpfungsmaßnahmen konnten dann Ende Oktober 2004 aufgehoben werden konnten.


Beispiel einer Kirrstelle
Quelle: Kreis Euskirchen

Im Oktober 2005 kam es dann durch einen neuen Virusnachweis zum befürchteten Rückschlag, welcher dann zwischen 2005 und 2010 zu weiteren 29 Köderauslagen mit mehr als 1 Mio. Ködern an den bekannten 1000 Kirrstellen führte. Dieser neue Ausbruch erfolgte in einem großen, geschlossenen Waldgebiet von ca. 12 x 12 km, im nachfolgenden Text als „Kernzone“ bezeichnet. Der nach den Vorgaben der Schweinepestverordnung rund um dieses Gebiet neuerlich eingerichtete „Gefährdete Bezirk“ musste trotz der intensiven Impf- und Bejagungskampagnen sowie zahlreicher zusätzlicher Verwaltungsmaßnahmen von Oktober 2005 bis April 2009 aufrecht erhalten werden, wobei der letzte Virusnachweis im Juli 2007 erfolgte.
Zur Erinnerung: Gegen die ASP gibt es noch keinen Impfstoff, da kann das Geschehen noch sehr viel länger dauern!
Während der winterlichen Hauptjagdzeit auf Schwarzwild wurden trotz Impfung zwischen Oktober 2005 und Februar 2006 weitere 27 KSP-Fälle, davon 27 in der Kernzone, festgestellt. Da es trotz Bejagung und Impfkampagnen nicht gelungen war, das KSP-Virus innerhalb der „Kernzone“ endgültig zu tilgen, wurden in enger Zusammenarbeit mit der Wildforschungsstelle in Bonn und dem Ministerium in Düsseldorf weitere jagdliche und veterinärrechtliche Maßnahmen für die Reviere innerhalb dieses Gebietes diskutiert und letztendlich auch umgesetzt. Dazu gehörte neben einer zusätzlichen Sommerbeköderung (davor nur im Frühjahr und Herbst) zum einen die Anordnung zweier zusätzlicher, vorab anzumeldender Drückjagden in 12 ausgesuchten Revieren für den Winter 2006/2007. Diese Verfügungen wurden mit der Androhung der Ersatzvornahme (Drückjagden geplant und durchgeführt vom Landesbetrieb Wald und Holz) und einem voraussichtlichen Kostenrahmen in Höhe von 15.000 € versehen. Zum anderen wurde die Nämlichkeitskontrolle der Streckenlegung bei den Drückjagden durch das Veterinäramt verfügt, wobei der Autor zwecks Begutachtung der tatsächlichen Schwarzwilddichte in ausgesuchten Revieren mehrfach als Treiber unterwegs war.


Nämlichkeitskontrolle nach angeordneter Drückjagd
Quelle: Kreis Euskirchen

Trotz dieser Erhöhung des Jagddrucks und der Beköderungsfrequenz kam es im Winter 2006/2007 zu weiteren annähernd 50 Virusnachweisen in der „Kernzone“. Nach intensiven Diskussionen unter Beteiligung der Rechtsabteilung des MUNLV wurden für den Sommer 2007 nochmals verschärfte Verfügungen an über 25 Reviere in der Kernzone übersandt und gleichzeitig Prämien von 30 € für Indikatortiere wie Fallwild aber auch gestreifte Frischlinge unter 15 kg Körpergewicht ausgelobt. Neben zwangsgeldbewerten Vorgaben zur Fütterung und Kirrung bestand der entscheidende Tenor in konkreten monatlichen Abschusszahlen, die bei Nichterfüllung mit einem Zwangsgeld von 4.000 € pro nicht erlegtem Stück Schwarzwild garniert waren. Grundlage dieser Abschussvorgaben waren revierscharfe Berechnungen der Wildforschungsstelle Bonn anhand der Streckenmeldungen der letzten Jahre und der Daten aus Überflügen mit Wärmebildkameras. Erwartungsgemäß legten alle Betroffenen Widerspruch ein, zwei davon klagten vor dem VG Aachen. Im Beschluss der Aachener Kammer wurde dann festgehallten, dass die Berechnungsgrundlage nicht zu beanstanden sei, aber einerseits Fall-und Unfallwild mit auf die Strecke angerechnet werden müsse und die Fallenjagd sowie die Jagd mit der kleinen Kugel z. B. auf gestreifte Frischlinge erlaubt sein müsse. Außerdem senkte die Kammer das Zwangsgeld von 4.000 € auf 500 € pro nicht erfüllte Streckenvorgabe und setzte die sofortige Vollziehung für April 2007 aus. Die Beschwerde eines Betroffenen vor dem OVG in Münster wurde dann voll umfänglich abgewiesen.


Beispiel einer Saufalle
Quelle: Kreis Euskirchen


Kontrolle der Kirrmengen mittels Digitalwaage
Quelle: Kreis Euskirchen

Diese Vorgaben behielten letztlich bis zum Ende des Jagdjahres 2008/2009, also bis zum 31.03.2009, ihre Gültigkeit. Da neben den Abschusszahlen auch konkrete, ebenfalls Zwangsgeldbewehrte Vorgaben zur Kirrung gemacht wurden, kontrollierten zwei Mitarbeiter des Landesbetriebs Wald und Holz NRW, intern Waldläufer genannt, mittels GPS-Ortung, Digitalwaage und Fotoapparat, reviergenau diese Vorgaben über die gesamten 2 Jagdjahre. Dies führte einerseits zu einer Flut von Ordnungswidrigkeitenverfahren, Zwangsgeldfestsetzungen, Widersprüchen und Gerichtsverfahren, andererseits taten sich erhebliche Schwierigkeiten bei der Ahndung von Verstößen auf. Gemäß dem Landesjagdrecht durfte im obigen Zeitraum lediglich 1 Kirrung auf 100 ha Wald angelegt werden, verfügt wurde für einen gewissen Zeitraum eine Zahl von 2 Kirrungen pro angefangene 100 ha Wald mit einer täglichen Beschickung von 500 Gr. Mais. Je nachdem welche Jagdstrategie der Pächter oder Eigentümer vorher bevorzugt hatte, Jagen mit oder ohne Kirrungen, war es ein massiver Eingriff in die persönliche Jagdausübung oder nicht. Bei einem 1000 ha großen Revier, in dem bislang keine Kirrungen angelegt waren, ist die Anlage und tägliche Beschickung dieser Kirrungen über Monate ein nicht unerheblicher zusätzlicher Aufwand. Hierbei besteht das Hauptproblem in rechtsverbindlichen Definitionen von im Jagdrecht aufgeführten Begriffen. Im Jagdrecht wird unter dem Begriff Kirrung eine Abschusshilfe im Sinne einer Lockfütterung verstanden, wo mittels des Ausbringens von Getreide oder Mais Schwarzwild angelockt und beschäftigt werden soll, damit es erlegt werden kann. Wer kirrt muss auch ansitzen, ansonsten wäre es eine Fütterung. Aber es ist z. B. nirgendwo definiert, wie weit Kirrungen voneinander entfernt sein müssen.

Beispiele ungeklärter Rechtsfragen:
Hat derjenige im 1000 ha Waldrevier, der bei seinem täglichen Spaziergang mit dem Hund rund ums Forsthaus alle 200 m ein wenig Mais vergräbt, bzw. wie es im Jagdrecht heißt, mit bodenständigem Material bedeckt, seine Vorgaben erfüllt? Das Amtsgericht Euskirchen vertrat in einem Verfahren die Auffassung, das darbieten von Mais in einer Holzkiste entspräche der Definition bodenständig … . Und betreibt derjenige, der von einem Hochsitz 150 m in alle 4 Himmelrichtungen Schwarzwild beim Wühlen nach vergrabenem Mais erlegen kann, letztlich eine oder vier Kirrungen?


Ist eine Kiste Bodenständiges Material?
Quelle: Kreis Euskirchen


Kleine Frischlinge, von Hunden gefangen
Quelle: Kreis Euskirchen

Ab wann zählt ein Wildschwein (im Gegenwert von 500 €) als statistischer Abschuss? Zählt die erlegte Bache mit 6 ca. 10 cm langen Foeten ohne jegliche Behaarung einmal oder werden diese mitgezählt? Der Unterschied besteht in 3000 € Zwangsgeld! Die kleinen Frischlinge, die die Hunde aus den Wurfkesseln holten, mussten selbstverständlich akzeptiert werden.
Trotz dieser und zahlreicher anderer rechtlicher Schwierigkeiten mussten aufgrund des unermüdlichen Einsatzes der Waldläufer 39 Verfahren nach dem Tiergesundheitsrecht und 199 Verfahren nach dem Jagdrecht eingeleitet werden, wobei Bußgelder bis zu 12.500 € rechtskräftig wurden. Zahlreiche Verfahren wegen jagdrechtlicher Verstöße mussten wegen fehlender eindeutiger Täterschaft eingestellt werden. Insgesamt wurden trotzdem annähernd 80.000 € eingenommen.
Aus diesen gewonnen Erfahrungen wurden bereits 2009 Konsequenzen des Gesetzgebers gefordert, die allerdings bis heute nicht umgesetzt sind. Dazu gehören im Einzelnen:

  • Jagdausübungsberechtigte zu gemeinsamer Durchführung revier-übergreifender Drückjagden zu verpflichten (u. U. Koordination durch Wald und Holz)
  • Verbot von Ablenkfütterungen, Abschaffung der Notzeitenregelungen
  • Überwachung des Fütterungsverbotes und der Kirrmengen durch Wald und Holz
  • Umbruchverbot waldrandnaher Flächen
  • Nutzungsverbot waldrandnaher Flächen außer Grünlandnutzung
  • Mindestabstand Maisflächen zu Waldrand 30 m
  • Einführung einer „Halterhaftung“ für Kirr- und Futterplätze analog KFZ-Halter
  • Verpflichtung Trichinenproben nur im Revierveterinäramt abzugeben

Fazit:
Zwischen 1999 und 2014 musste der Kreis Euskirchen im Rahmen der beiden Wildschweinepest-Seuchenzüge der Jahre 2002/2003 und 2005/2007 mit Unterstützung des MULNV administratives und veterinärrechtliches Neuland betreten. Für den Bau und Betrieb einer Wildsammelstelle inklusive Betreuung und Tierkörperbeseitigung wurden mehr als 200.000 € ausgegeben. Neben der Organisation und Durchführung von 41 Köderauslagen in über 260 Jagdrevieren mit mehr als 1,2 Mio. Ködern wurden in diesem Zeitraum über 26.000 Wildschweine in der Wildsammelstelle beschlagnahmt, die entnommenen Proben zur KSP-Untersuchung nach Krefeld überführt und wieder frei gegeben. Zur Vereinfachung eines anschließend durchzuführenden ASP-, KSP-, AK- und Brucellose-Monitorings wurde ein bis heute funktionierendes System von im Kreis verteilten Probenkühlschränken aufgebaut. Aufgrund verschiedener Verfügungen mit konkreten jagdlichen Streckenvorgaben mussten zahlreiche ordnungs- bzw. strafrechtliche Verfahren eingeleitet werden.
Wegen der speziellen KSP-Situation im waldreichen Kreis Euskirchen mussten die eingeleiteten Bekämpfungsmaßnahmen mehrfach gegenüber der EU in Brüssel und Bonn erläutert werden und wurden 2 x durch das FVO (Veterinäramt der EU in Dublin) vor Ort kontrolliert
Da die EU die Kosten der Beköderungsaktionen in Höhe von über 1,1, Mio. € übernommen hatte wurde dem Veterinäramt des Kreises Euskirchen die zweifelhafte Ehre einer intensiven Kontrolle durch den europäischen Rechnungshof aus Luxemburg mit ganz eigenen Fragestellungen zuteil. Andererseits durfte der Autor als sogenannter EU-expert die Kollegen in Kroatien bei ihrem KSP-Wildschweinproblem beraten.


Probenhandling
Quelle: Kreis Euskirchen

Letztlich ist aus der 2002 für die von der KSP betroffenen Mitgliedsstaaten D, B, F, und NL - entwickelten „CSF-Wildboar Data Base“ eine EU-weite Institution geworden, mit der aufgrund der hinterlegte Möglichkeiten zur GPS- gestützten Georeferenzierung die heutige und zukünftige ASP-Situation europaweit beobachtet werden kann. Damit dies einschließlich der Tilgung der ASP ein Erfolg wird ist eine intensive und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit der Jägerschaft unerlässlich. Ohne Proben und Untersuchungen erlegter oder gefundener Wildschweine durch die Jägerschaft kann eine Tierseuche beim Wild nicht erkannt und nicht bekämpft werden. Allerdings wird eine erfolgreiche Tilgung in einem überschaubaren Zeitraum ohne Änderungen des Jagdrechts im oben aufgeführten Sinne nicht gelingen können.


Dr. Jochen Weins
Quelle: Kreis Euskirchen