Breites Bündnis zur Klimafolgenanpassung im Kreis Viersen

11. Juli 2022: Von Fabian Lindner, Mitarbeiter im Amt für Technischen Umweltschutz, Kreis Viersen

Die Auswirkungen des Klimawandels sind längst auch im Kreis Viersen angekommen. So konnte in den von Trocken- und Hitzeperioden geprägten Jahren 2018 bis 2020 die ganze Tragweite des Klimawandels beobachtet werden, zum Beispiel trockene Fließgewässer, sinkende Grundwasserspiegel, strapazierte Wälder und Feuchtgebiete, ein Heide- und Waldbrand, Ernteausfälle, Hitzebelastung in den Städten und Gemeinden sowie massive Schäden an Stadtbäumen.

Im Jahr 2021 haben Starkregenereignisse den Kreis Viersen mit seiner relativ flachen Topographie nicht so katastrophal getroffen wie etwa die Eifel, trotzdem kam es auch hier punktuell zu Überschwemmungen mit entsprechenden Schäden. Zwar wird nicht erwartet, dass sich diese Ballung extremer Wettergeschehnisse Jahr für Jahr wiederholt, der Trend ist jedoch eindeutig: Die Häufigkeit und Intensität von Extremereignissen wird mit dem für die kommenden Jahrzehnte prognostizierten kontinuierlichen Anstieg der Lufttemperatur weiter zunehmen.
Warming stripes, Darstellung der Kalenderjahre, bezogen auf Wetterstation im Kreisgebiet Viersen
Quelle: Kreis Viersen

Vor diesem Hintergrund hat der Kreistag Viersen im Mai 2020 die Erstellung eines kreisweiten Klimafolgenanpassungskonzeptes als Startsignal für ein gemeinsames Handeln in der Region beschlossen. Seither wurden vielfältige Aktivitäten zur Anpassung an den Klimawandel auf den Weg gebracht, die von einer neu eingerichteten Stelle in der Kreisverwaltung Viersen koordiniert werden.

Klimafolgenanpassungskonzept als Rahmengeber und Forum
Das Klimafolgenanpassungskonzept wird den Rahmen für die zahlreichen Handlungsfelder zur Anpassung an die Klimafolgen setzen. In Stufe Eins des Konzepts wird eine übergeordnete Analyse der Klimaentwicklung und -folgen im Kreis erstellt (siehe Auszug in Abb. 2). Daraus abgeleitet wird ein Monitoring entwickelt. Zusätzlich werden die Aufgabenbereiche der Kreisverwaltung unter Berücksichtigung der Auswirkungen des Klimawandels durchleuchtet.


Auswahloptionen Temperaturkenntage und Projektion
Quelle: Kreis Viersen

Der interaktive Bericht „Klimaentwicklung und -folgen“ aus dem Klimafolgenanpassungskonzept Stufe Eins liefert zum einen eine klare, datenbasierte Informationsbasis für die Klimafolgenanpassung im Kreisgebiet. Zum anderen ist der digitale Bericht so aufgebaut, dass er spielerisch und interaktiv erschlossen werden kann (Bericht erstellt durch Kommunalagentur NRW GmbH im Auftrag des Kreis Viersen).

In Stufe Zwei, einem Kooperationsprojekt zwischen dem Kreis und den kreisangehörigen Kommunen, wird zum einen die konkrete Anpassung an die Klimafolgen in den Städten und Gemeinden in den Fokus gerückt. Zum anderen erfolgt eine Koordinierung der Fachplanungen zur integrierten Zusammenarbeit im Kreis Viersen. Zusammen mit der Wasser-, Land- und Forstwirtschaft, dem Naturschutz, dem Gewerbe und anderen wollen der Kreis Viersen sowie die kreisangehörigen Städte und Gemeinden in einem Dialogprozess Querschnittsthemen diskutieren. Damit will der Kreis Viersen ein Bewusstsein für gegenseitige Abhängigkeiten schaffen, eine integrierte Herangehensweise abstimmen und geeignete Maßnahmen initiieren.

Fokussierung in fachspezifischen Vorhaben
Parallel dazu treibt der Kreis Viersen verschiedene Einzelprojekte voran. Das in der ersten Jahreshälfte 2022 gestartete Vorhaben zur Entwicklung eines kreisweiten Starkregenrisikomanagements ist dabei von besonderer Bedeutung. In Zusammenarbeit mit den Städten und Gemeinden sowie den Wasser- und Bodenverbänden sollen Gefahrenstellen systematisch identifiziert und bewertet werden. Koordiniert durch den Kreis Viersen steuern oben genannte Akteure Gewässerpläne, Informationen zu abflussrelevanten Bauwerken, Kanalnetzdaten, Informationen zu aktuellen Siedungsentwicklungen sowie eine umfangreiche Vor-Ort-Expertise bei. Gemeinsam mit weiteren Beteiligten wie dem Brand- und Katastrophenschutz, Infrastrukturträger, der Land- und Forstwirtschaft sowie dem lokalen Erfahrungswissen der Bürgerinnen und Bürger erfolgt schließlich die Analyse ortsspezifischer Risiken und die Ermittlung von Handlungsoptionen. Neben der direkten Nutzung zur Starkregenprävention soll das im Rahmen des Projekts entwickelte detaillierte Oberflächenabflussmodell perspektivisch etwa auch bei der Ausweisung neuer Baugebiete oder bei Maßnahmen zum Wasserrückhalt von Überschusswasser weiter genutzt werden. Ein Mittel- bis langfristiges Ziel ist die Verstetigung der im Projekt entstehenden (Kommunikations-)Strukturen, um der zunehmenden Starkregengefährdung in einem abgestimmten Vorgehen entgegenzutreten.

Ein wichtiges Einzelvorhaben ist auch die Bilanzierung des verfügbaren Grundwasserdargebotes, welches der Kreis in Kooperation mit den ansässigen Wasserversorgungsunternehmen durchführt. Im Kreis Viersen erfolgt eine intensive Grundwasserentnahme durch die öffentliche Wasserversorgung sowie die Bewässerungslandwirtschaft. Häufigere Trocken- und Hitzeperioden wie 2018, 2019 und 2020 führen zu knapper werdenden Wasservorräten. Gleichzeitig steigt gerade dann der entsprechende Wasserbedarf. Mit der Bilanzierung wird erstmals eine Grundlage zur Beurteilung der Bewirtschaftung des regionalen Wasserhaushalts im Rahmen der Gewässeraufsicht und der Erteilung von Wasserrechten erstellt. Die Bilanzierungsergebnisse werden mit der Wasserrechte-Datenhaltung gekoppelt, was eine fortlaufende Aktualisierung der Bilanz ermöglicht und zu einem Verständnis der mittel- und langfristigen Entwicklung beiträgt.

Weitere Untersuchungen beschäftigen sich mit der Bewertung der Niedrigwasserrisiken von Fließgewässern (betroffen insbesondere Nette und kleinere Bäche wie der Hammer Bach). Mittelfristiges Ziel ist es hier, gewässerpegel- und grundwassermessstellenbasiert Vorsorgemaßnahmen treffen zu können.

In einem vom Kreis Viersen initiierten und von einem Fachbüro begleitenden Erfahrungsaustausch zum Thema Hitze- und Trockenschäden an Stadtbäumen diskutierten die fachlich Zuständigen aller kreisangehörigen Kommunen über ihre jeweiligen Herausforderungen und erprobten Lösungsansätze. Die hier gebildete Arbeitsgruppe stimmt sich nun regelmäßig, begleitet durch den Kreis Viersen, zu Positivbeispielen, aktuellen Problemen und gemeinsamen Initiativen ab.

Trockengefallene Nette.
Quelle: Netteverband
Starkregenereignis im Kreis Viersen.
Quelle: Kreis Viersen
Zwei Seiten einer Medaille

Paradigmenwechsel in der Wasserwirtschaft: Klimafolgenanpassung als verstärkendes Argument zur Renaturierung im weiteren Sinne
Lange Zeit war es das Ziel, Niederschlagswasser möglichst schnell „wegzubekommen“. Dies galt sowohl für Fließgewässer, die begradigt wurden, also auch für Siedlungsbereiche, in denen die Entwässerung dafür sorgen sollte, Niederschlagswasser vollständig zu den Vorflutern zu leiten. Mit Einführung der EU-Wasserrahmenrichtlinie (EU-WRRL) werden seit dem Jahr 2000 Gewässerabschnitte verstärkt renaturiert. Als Nebeneffekt der Renaturierung entsteht sowohl eine Pufferwirkung bei Hochwasser oder Starkregen als auch eine verstärkte Grundwasseranreicherung. Diese Anreicherung wirkt wiederum den Folgen der langen Trockenperioden entgegen.


Renaturierung eines Nette-Abschnitts.
Quelle: Netteverband

Der durch den Klimawandel verursachte Trend, auf der einen Seite zeitweilig „zu viel Wasser“ und auf der anderen Seite zeitweilig „zu wenig Wasser“ zu haben, kann als verstärkendes Argument gesehen werden, die Fließgewässer im Sinne der EU-WRRL zu entwickeln und gezielt ihre Schwammfunktion zu stärken. Für den Kreis Viersen stehen neben der klassischen Renaturierung von Fluss- und Bachabschnitten der Wasserrückhalt im weitverzweigten Landschaftsentwässerungssystem im Bereich der Niers mit seinen zahlreichen Gräben im Fokus. In Kooperation mit dem zuständigen Wasser- und Bodenverband der Mittleren Niers soll untersucht werden, wie dezentral und situativ in den Gräben zurückgehaltenes Niederschlagswasser etwa zur Grundwasseranreicherung, zur Ableitung in Auenbruchwälder oder eventuell zur direkten Verwendung genutzt werden kann.

Auch in Siedlungsbereichen der Städte und Gemeinden rücken Strategien in den Fokus, das Niederschlagswasser nicht ausschließlich abzuleiten, sondern vermehrt, nach dem Vorbild der Natur, dezentral zu halten. Dies hat positive Effekte für den Starkregenrückhalt innerorts sowie für die städtische Vegetation und damit verbunden auch für die Hitzebelastung. Da in diesem Kontext detaillierte Kenntnisse über intakte Böden mit ihrem Potenzial zur Wasserspeicherung und Verdunstungsleistung eine wichtige Rolle spielen, arbeitet der Kreis Viersen derzeit an entsprechenden Bodenfunktionskarten. Diese dienen als Beitrag für eine angemessene Berücksichtigung der Klimaanpassungsfunktionen von Böden in der Stadt- und Siedlungsentwicklung. 

Die Rolle von Kreisverwaltungen in der Klimafolgenanpassung
Die Kreisverwaltung mit ihren Fachämtern in den Bereichen Wasser-, Umwelt- und Naturschutz bis hin zum Gesundheitsamt und Katastrophenschutz bündeln vielfältige Zuständigkeiten, Expertisen und Kontakte, um auf regionaler Ebene die integrierte Zusammenarbeit zur Anpassung an die Folgen des Klimawandels zu initiieren und zu koordinieren. Gemeinsam mit den kreisangehörigen Städten und Gemeinden, der Wasserwirtschaft, der Landwirtschaft, dem Naturschutz und vielen anderen mehr wird der Kreis Viersen die Anpassung an den Klimawandel als Gemeinschaftsaufgabe nachhaltig entwickeln und nutzbar machen.


Fabian Lindner
Quelle: Kreis Viersen