Das Eiszeitliche Wildgehege des Kreises Mettmann

18. Februar 2019: von Hanna Walter, Hegemeisterin Eiszeitliches Wildgehege Neandertal, und Klaus Adolphy, Leiter Untere Naturschutzbehörde Kreis Mettmann

Das Eiszeitliche Wildgehege Neandertal ist ein Beispiel dafür, wie in einem Ballungsraum Artenvielfalt, Klimaschutz, Umweltbildung und Naherholung gleichzeitig realisiert werden können.

Wer hat noch nicht vom Neandertal gehört? – Sein berühmtester einstiger Bewohner hat es immerhin zu Weltruhm gebracht. Eher weniger Menschen wissen, dass das durch Kalkabbau und den kleinen Fluss Düssel geformte Tal auch ein schützenswerter Naturraum und eines der ältesten Naturschutzgebiete Deutschlands ist. Das Eiszeitliche Wildgehege liegt frei zugänglich, umrundet von Wanderwegen, in dem seit 1999 ausgewiesenen FFH-Gebiet Neandertal. Es beherbergt Vertreter der eiszeitlichen Fauna, nämlich Wisent, „Tarpan“ und „Auerochse“. Seit 2011 ist der Kreis Mettmann Träger des Wildgeheges, das 1938 vom noch heute engagierten Naturschutzverein Neandertal gegründet wurde. Bei den vielfältigen Aufgaben in der kommunalen Kreisverwaltung stellt sich natürlich die Frage, wieso ausgerechnet der Unterhalt eines Wildgeheges in den Interessenbereich des Kreises fällt. Tatsächlich sprechen gute Gründe dafür.

Es ist eine altbekannte Tatsache, dass man jeden Euro nur einmal ausgeben kann. Umso charmanter ist es, wenn mit jedem ausgegebenen Euro mehrfacher Nutzen erzielt wird. Beim Eiszeitlichen Wildgehege scheint dem Kreis Mettmann diese schwierige Aufgabe gelungen zu sein. Hier werden die heute so wichtigen Aufgaben wie Artenvielfalt, Klimaschutz, Umweltbildung und Naherholung erfolgreich miteinander vernetzt.

 Aus der Eiszeit in den Naturschutz


Wisente sind die größten Landsäugetiere Europas 
Quelle: Hanna Walter

Die Hauptaufgabe der großen Weidetiere, die durch das Eiszeitliche Wildgehege ziehen, ist dabei der aktive Naturschutz. Pflanzenfresser wie der Wisent, aber auch die Abbildzüchtungen von Auerochse und Tarpan, dem ausgestorbenen europäischen Wildpferd, sorgen für ein artenreiches Leben im Gehege. Sie sind Vertreter der eiszeitlichen Megafauna, die die Steppenlandschaft Mitteleuropas in der letzten Kaltzeit bis vor etwa 12.000 Jahren prägten. Andere bekannte Bewohner der Eiszeitsteppe wie Mammut, Wollnashorn und Riesenhirsch sind schon lange ausgestorben, ihre einstigen Lebensräume verschwunden.

Die uns heute bekannten Wiesen und Weiden sind in Europa überwiegend durch menschliche Eingriffe entstanden und werden durch Mähen und Beweidung erhalten. Wenig bekannt ist, dass extensive Grünland-Ökosysteme weltweit die höchste Vielfalt an Pflanzen auf kleiner Fläche beherbergen.

Bei näherer Betrachtung ist dies wenig verwunderlich: Durch die extensive ganzjährige Freilandhaltung gestalten die Tiere ein Mosaik von sehr unterschiedlichen Klein-Lebensräumen dicht beieinander. So finden sich kurzgefressene Bereiche neben Hochstaudenfluren, die sich an Zäunen oder schwer zugänglichen Bereichen bilden. Durch ihre Trittsiegel schaffen die Tiere offene Rohböden, die sich schneller erwärmen und manchen Pflanzen bessere Möglichkeiten bieten, sich zu versamen, als das auf geschlossenen Grasflächen der Fall ist. Auch verkotete Bereiche, die ungern vom Vieh ein zweites Mal aufgesucht werden, stellen z.B. durch das Vorkommen der Ackerdistel ein Paradies insbesondere für Schmetterlinge und Distelfinken dar.


Abbildzüchtungen von Auerochsen und Tarpanen als Landschaftspfleger
Quelle: Hanna Walter

Die Weidetiere des Wildgeheges dürfen auch in den naturnahen Buchen-Eichenwald einwandern und lassen so auch im Wald wiederum neue Lebensräume entstehen. Durch den Verbiss der Tiere entsteht ein lichter Waldtyp, der das Wachstum von Dorn- und Stachelträgern wie Wildrosen, Schlehe oder Weißdorn begünstigt. In deren Schutz können anschließend verbissempfindliche Arten ungehindert gedeihen.

Das Eiszeitliche Wildgehege beherbergt also die unterschiedlichsten Teillebensräume wie sonnige Weiden, Wald, Saumfluren, nasse Bachbereiche, Auen und Steilhänge. Aufgrund dieser Vielzahl unterschiedlicher Standorte ist das Artenspektrum gegenüber intensiver genutzten Weiden oder Wiesen entsprechend hoch. Diese hohe Biodiversität im Wildgehege Neandertal ist durchaus mit den artenreichen nassen Orchideenwiesen in Velbert und den Moorlebensräumen in Hilden und Langenfeld zu vergleichen, auch wenn die botanischen Raritäten fehlen.


Weidetiere schaffen ein Mosaik aus unterschiedlichen Kleinlebensräumen
Quelle: UNB Kreis Mettmann

Herz-Blut für Insekten
Besonders hervorzuheben ist die Bedeutung der Weidetiere für die Insekten. Die wichtige Bestäubung von Blüten übernehmen nicht nur Bienen, Hummeln und Schmetterlinge, sondern beispielsweise auch männliche Stechmücken. Das Blut, das von Weibchen gesaugt wird, dient der Eiproduktion. Tatsächlich ernähren sich die Plagegeister teilweise von Blütensäften und Nektar und leisten dabei auch wichtige Bestäubungsarbeit. Neben der wichtigen Bestäubung haben Insekten aber auch eine immense Bedeutung als Nahrungsgrundlage für viele weitere Tiere eines Ökosystems. Stechinsekten wie Bremsen oder Gnitzen sowie deren Larven dienen als Nahrung für Amphibien, Reptilien, Fische, Vögel und Fledermäuse. Auch der Huftierkot trägt zur Insektenvielfalt bei. Einige Untersuchungen haben gezeigt, dass sich in den Kothaufen eine hohe Anzahl von Wirbellosen wie Fadenwürmer, Fliegen und Käfer entwickeln. Und diese locken wiederum die unterschiedlichsten Jäger auf einer solchen Wiese an. So erhöhte sich die Anzahl der Fledermausarten in einem Untersuchungsgebiet in Thüringen durch extensive Beweidung von 5 auf 11 Arten.


Kothaufen sind Nahrungsgrundlage für verschiedene Wirbellose
Quelle: Hanna Walter

Das Wildgehege als extensives Beweidungsprojekt fördert jedoch nicht nur die Artenvielfalt, sondern wirkt sich zusätzlich positiv auf das Klima aus. Häufig wird extensives Dauergrünland in seiner Bedeutung für die CO2-Speicherung im Boden unterschätzt. Mit der Energie der Sonne bilden Gräser oberirdisch Blattmasse und unterirdisch Wurzeln. Abgestorbenes Material bleibt als Humus im Boden. Dabei entlastet jede zusätzliche Tonne Humus die Atmosphäre um etwa 1,8 Tonnen CO2. So werden Berechnungen zufolge (von Haaren et al. 2011) in nur 10 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche – vor allem Grünland – mehr als 35 Prozent der gesamten Kohlenstoffvorräte landwirtschaftlicher Böden in Deutschland gespeichert. Extensives Grünland steigert sogar diesen Wert, da viele Pflanzenwurzeln zusammen mit den Mykorrhizapilzen einen dichten Filz in den ersten 30-40 Zentimetern des Bodens bilden. Auch das Kleinklima verbessert sich, da die Verdunstung in dichten Grasbeständen deutlich erhöht wird. Übrigens erstrecken sich diese Vorteile nicht nur auf das Neandertal selbst: Auf dafür geeigneten kreiseigenen Flächen wird mit extensiver Bewirtschaftung Winterfutter für die Tiere des Eiszeitlichen Wildgeheges gewonnen. Ziel sind artenreiche Mähwiesen, die das Mosaik unterschiedlicher Lebensräume im Kreisgebiet ergänzen.


Distelblüten sind geschätzte Nahrungsquellen für Insekten
Quelle: UNB Kreis Mettmann

Grasen für die Bildung
Die beeindruckenden Bewohner des Wildgeheges leisten aber nicht nur Arbeit in der Biotoppflege, sondern in besonderem Maße auch in der Umweltbildung. Die Tiere sind Sympathieträger, die allein durch ihre Anwesenheit eine erlebbare Verbindung zu Themen des Umweltschutzes, aber darüber hinaus auch zu vielen anderen Themen wie Evolution, Artensterben, Klimawandel oder dem Verständnis von Ökosystemen ermöglichen. Die Bildungsarbeit richtet sich dabei hauptsächlich an Schulen und Kitas, aber auch andere Formate wie offene Führungen, die über die Tagespresse angekündigt werden, ziehen viele interessierte Besucher an.

Als lebendige Ergänzung des Neanderthal Museums bieten sich vielfältige Anknüpfungspunkte zu dessen Bildungs- und Erlebnisprogramm. So stehen die Mitarbeiter des Eiszeitlichen Wildgeheges in regelmäßigem Austausch mit der Abteilung Bildung und Vermittlung des Neanderthal Museums und bieten gemeinsame oder ergänzende Veranstaltungen an.


Die Jungtiere in den Zuchtherden sind natürlich besondere Sympathieträger
Quelle: Hanna Walter

Schließlich kommt das Eiszeitliche Wildgehege auch den Menschen im Kreisgebiet direkt zugute. Der Kreis Mettmann hat in den vergangenen Jahren die Attraktivität des Kreisgebiets als Touristikregion durch die Etablierung und Vermarktung der Marke „neanderland“ vorangetrieben. Besonders das attraktive Wanderwegenetz, der Neanderlandsteig mit seinen „Entdeckerschleifen“, bietet für jeden Anspruch Wanderetappen und Rundwege. Sowohl Anwohner aus der direkten Umgebung als auch der etwas weiter entfernten Großstädte Düsseldorf und Wuppertal nutzen den abwechslungsreichen Rundweg ums Gehege. Dass das Wildgehege durch seine Lage am Wanderweg rund um die Uhr und kostenlos zu besichtigen ist, macht es zu einem beliebten Ausflugsziel für Familien. Die gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln gewinnt dabei in Zukunft sicher noch größere Bedeutung.

Perspektiven
Der Kreis Mettmann wird in den nächsten Jahren erhebliche Mittel investieren, um das Wildgehege noch attraktiver zu gestalten. So steht der Einstieg in eine erlebbare Wisentzucht auf dem Programm, die zugleich ein wichtiger Beitrag zur Arterhaltung dieser empfindlichen Art sein wird. Es werden neue Stallanlagen und ein Mehrzweckgebäude gebaut. Ein neues Flächennutzungskonzept wird die bessere Wahrnehmung der Tiere und die Entlastung sensibler Talbereiche zur Folge haben. Gleichzeitig wird die Umweltbildung gefördert und umweltpädagogische Erlebnisstationen errichtet. Des Weiteren wird ein barrierearmer kleiner Rundweg angelegt.

Das Eiszeitliche Wildgehege Neandertal hat sich damit von seiner Tradition als reines Schaugehege gelöst und ist ein wichtiger Baustein in der Biodiversitäts- und Umweltschutzstrategie des Kreises geworden. Durch die zukünftige konsequente Weiterentwicklung im Bereich der Umweltbildung und die Einbindung in das Touristik- und Freizeitangebot werden die großen Weidetiere auch in Zukunft ein Gewinn für Einwohner und Besucher des Kreises Mettmann sein.

Hanna Walter
Quelle: Kreis Mettmann

Klaus Adolphy