Das neue KiBiz in der Praxis – Startschwierigkeiten für die Förderung flexibler Betreuungsangebote

05. November 2020: Von Detlef Schütt, Dezernent für Arbeit und Soziales, Schule und Kultur, Jugend und Gesundheit, Kreis Coesfeld

Zur Förderung von flexiblen Betreuungsprojekten stehen in diesem Kindergartenjahr 2020/2021 Landesmittel in Höhe von 40 Millionen Euro bereit. Für die Vergabe der Mittel haben die Jugendämter der Münsterlandkreise und der Stadt Münster gemeinsame Fördergrundsätze beschlossen. Trotz der enormen finanziellen Förderung werden nur wenig neue Projekte für flexible Betreuung initiiert. Hauptursache ist der nach wie vor bestehende Fachkräftemangel im Bereich Kindertagesbetreuung, der auch durch finanzielle Förderung nicht beseitigt werden kann. 

Zum 01.08.2020 ist das Reformgesetz zur frühen Bildung und Förderung von Kindern in Kraft getreten. Hauptziel der Reform ist eine auskömmliche Finanzierung und die Schaffung einer zukunftssicheren finanziellen Grundlage für die Kindertageseinrichtungen. Doch nebenbei werden auch nicht unerhebliche Summen für die Qualitätsentwicklung bereitgestellt. So soll beispielsweise die Vereinbarkeit von Familie und Beruf weiter verbessert werden, indem das Betreuungsangebot erweitert und flexibler gestaltet wird. Allein in diesem Kindergartenjahr werden den Jugendämtern landesweit dafür 40 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Diese Mittel werden bei Weiterleitung an die Träger von Kindertageseinrichtungen noch einmal um einen Anteil des jeweiligen Jugendamtes in Höhe von 25 Prozent aufgestockt. Über die Verteilung der Mittel kann jedes Jugendamt im Rahmen der örtlichen Jugendhilfeplanung auf Basis der jeweiligen Bedarfslage selbst entscheiden. Das KiBiZ führt dazu im § 48 eine nicht abschließende Liste mit Beispielen für flexible Betreuungsangebote an.

Einheitliche Fördergrundsätze für flexible Betreuungsangebote in den Münsterlandkreisen
Damit nicht über jeden einzelnen Förderantrag der Jugendhilfeausschuss im Rahmen der Jugendhilfeplanung entschieden werden muss, wurde die Aufstellung von allgemeinen Fördergrundsätzen im Jugendamtsbezirk für sinnvoll erachtet. Solche einheitlichen Fördergrundsätze wurden in einer Arbeitsgruppe der vier Münsterlandkreise Borken, Coesfeld, Steinfurt und Warendorf sowie dem Stadtjugendamt Münster erarbeitet und in den jeweiligen Jugendhilfeausschüssen beschlossen. Im Rahmen der Arbeitsgruppe wurden insbesondere die Themen einheitliche Fördersystematik, Abgrenzung zur Regelbetreuung, Ermittlung der spezifischen Elternbedarfe, Mindestanforderungen sowie Schutz des Kindeswohls in Bezug auf den Betreuungsumfang des einzelnen Kindes behandelt. Mit den gemeinsamen Fördergrundsätzen sollte den ähnlichen strukturellen Gegebenheiten und den dazu oftmals analogen elterlichen Bedarfen in der Region Rechnung getragen werden. Darüber hinaus sollten aber auch Träger von den einheitlichen Regelungen profitieren, die Kindertageseinrichtungen häufig in mehreren Jugendamtsbezirken betreiben. Hier sollte eine gleiche finanzielle Förderung von gleichen Angeboten gewährleistet werden. So ist im Münsterland beispielsweise nun eine Ausweitung der Öffnungszeiten bereits ab der 46. Wochenöffnungsstunde förderfähig und auch die teilweise bereits seit Jahren bestehenden Projekte zur Flexibilisierung des Betreuungsangebotes erhalten die neuen Fördermittel. Gleichzeitig sollte die Förderung aber auch an die gleichen Voraussetzungen geknüpft sein. Die Förderung eines Projekts erfolgt erst dann, wenn sichergestellt ist, dass die Angebotsstruktur mindestens die Voraussetzung nach § 26 Abs. 4 KiBiz erfüllt und dementsprechend auch eine 35 Wochenstundenbetreuung im Blockmodell mit einem Mittagsessen in der Einrichtung angeboten wird. Es bestand weiterhin Einigkeit darüber, dass die zur Verfügung stehenden Mittel lediglich eine „Anreizfinanzierung“ darstellen und nicht die vollen Kosten der jeweiligen Maßnahme decken sollen. So soll sichergestellt werden, dass insbesondere mit Blick auf die Ausweitung der Öffnungszeiten sowie auch der Reduzierung von Schließtagen möglichst viele Einrichtungen und folglich viele Familien profitieren können.  Dennoch lassen die gemeinsamen Fördergrundsätze weiterhin Spielraum für individuelle Angebote. Über diese müsste dann ggf. jedoch der jeweils zuständige Jugendhilfeausschuss erneut entscheiden.
Somit ist im Münsterland der Weg geebnet für vielfältige, individuelle, bedarfsgerechte und flexible Betreuungsangebote. Die Fördergrundsätze wurden in den jeweiligen Jugendhilfeausschüssen beschlossen, die finanziellen Mittel stehen zur Auszahlung bereit und die Träger wurden durch das zuständige Jugendamt über die Voraussetzungen und Unterstützungsmöglichkeiten umfassend informiert. In verschiedensten Gremien wurde die Werbetrommel gerührt, neue Projekte an den Start zu bringen. Jetzt fehlen nur noch die Förderanträge, die sogar nach Ablauf der Frist am 15. März noch gestellt werden können. Doch die große Masse an Anträge bleibt bislang aus. Vor allem neue Projekte werden kaum initiiert. Ein Großteil der Landesmittel wird wohl an das Land zurückgezahlt werden müssen. Woran liegt das?

Es scheitert nicht (nur) am Geld: Hinderungsgründe für flexible Betreuungsangebote
Bereits im Vorfeld sind flexible Betreuungsangebote im Rahmen der AG 78 Kita von den Mitgliedern (Einrichtungsleitungen, Trägervertretungen, Fachberatungen und Mitgliedern des Jugendamtselternbeirates) kontrovers diskutiert worden. Es bestehe oftmals eine Diskrepanz zwischen dem Bildungs- und dem Betreuungsauftrag von Kindertageseinrichtungen. Politisch und gesellschaftlich werden flexiblere Betreuungsangebote gefordert, damit sich Familie und Beruf besser miteinander vereinbaren lassen. Doch Fachkräfte des Gremiums mahnen, dass insbesondere der Bildungsauftrag Kontinuität in der Betreuung voraussetze. Nur durch Kontinuität und Verlässlichkeit in der Betreuung sei eine gute Bindung zum Kind aufzubauen und eine individuelle Förderung nach den Bedürfnissen des Kindes möglich. Diesen Bedenken trägt der Gesetzgeber in § 48 Abs. 4 KiBiz Rechnung. In den Fördergrundsätzen der Münsterlandkreise ist zudem explizit festgelegt, dass eine Betreuung der Kinder über 45 Wochenstunden hinaus auch bei Ausweitung der Öffnungszeiten nicht erfolgen soll, dies insbesondere auch zum Schutz des einzelnen Kindes. Dennoch besteht bei einigen die Befürchtung, dass eine zunehmende Flexibilisierung des Betreuungsangebotes im Sinne der individuellen Bedürfnisse der Eltern dazu führe, dass die Kinder und ihre Bedürfnisse aus dem Blick verloren würden. Es sei Aufgabe der Kindertageseinrichtung als Bildungseinrichtungen darauf zu achten, dass dies nicht geschehe und stets auch die Bedürfnisse der Kinder der Maßstab bei der Initiierung solcher Angebote seien.
Doch rein pädagogische Bedenken sind nicht der Grund für das Ausbleiben der Anträge. Auf Nachfrage erklären die Träger der Einrichtungen, dass für eine Betreuung über das normale Maß hinaus einfach kein entsprechendes Personal zur Verfügung stehe. Es sei schon schwierig genug, ausreichend geeignetes Personal für den Regelbetrieb zu finden. Der Stellenmarkt sei leer, man erhalte auf Stellenausschreibungen nur wenige Bewerbungen. Die Ausbildung zum/zur Erzieher/in sei jahrelang nicht attraktiv genug gestaltet worden. Die neuen Maßnahmen zur Förderung der Ausbildung würden sich auf dem Arbeitsmarkt noch nicht positiv bemerkbar machen. Auch müsse die Zahl der Auszubildenden und Ausbildungsplätze noch deutlich gesteigert werden. Fraglich sei diesbezüglich auch, ob hierfür ausreichend Lehrpersonal zur Verfügung stünde, da es hier nur wenige Studienstandorte gebe. Folglich können die wenigen Bewerber sich die Stellen aussuchen, so dass insbesondere befristete Stellen oder Stellen mit eher unattraktiven Arbeitszeiten, wenn überhaupt, nur schwer besetzt werden können. 
Erschwerend kommt hinzu, dass die Betreuungswünsche der Eltern, die oft aus beruflichen Gründen eine flexiblere Betreuung benötigen, sehr unterschiedlich sind. Eine Bedarfsabfrage im Jugendamtsbezirk des Kreises Coesfeld in 2017 hat gezeigt, dass Betreuungsbedarfe vor 7 Uhr und nach 17 Uhr nur sehr vereinzelt sowie auch oftmals sehr unregelmäßig, abhängig z.B. vom Schichtplan der Eltern, benötigt werden. So wären immer nur sehr wenige Kinder in diesen Randzeiten zu betreuen, manchmal womöglich gar keine. Eine 1:1 Betreuung für das Kind oder gar Personal auf Abruf bereitstellen, ist mit einer reinen „Anreizfinanzierung“ nicht zu leisten, selbst wenn das entsprechende Personal zur Verfügung stünde.
Hier seien auch die Arbeitgeber der Eltern mit in der Pflicht, so einige lauter werdende Stimmen in der AG 78 Kita. Wenn im beruflichen Kontext seitens der Arbeitgeber immer mehr Flexibilität von den Arbeitnehmern gefordert würde, müsse auch von dieser Seite ein Beitrag zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf geleistet werden.
Fest steht also: Um dem Bedarf nach speziellen flexiblen Betreuungsmöglichkeiten gerecht zu werden, sollte diesem gebündelt in jeweils nur einigen Einrichtungen je Kommune begegnet werden. Nur so ließe sich ein Angebot konzipieren, dass sowohl wirtschaftlich als auch personell auskömmlich und entsprechend nachgefragt wäre. Erfahrungen aus bereits gescheiterten Betreuungsmodellen haben gezeigt, dass Eltern Angebote, die einen Betreuungsortwechsel erfordern, nicht entsprechend annehmen. Somit bedarf es grundsätzlich zentral gelegener Einrichtungen, deren Aufnahmekriterien vorrangig die Aufnahme von Kindern mit entsprechenden Betreuungsbedarfen vorsehen, damit Familien gezielt in diese Einrichtungen gesteuert werden können.
Die grundsätzliche Bereitschaft seitens der Träger zur Initiierung solcher Angebote ist jedenfalls gegeben, sofern die pädagogischen Belange ausreichend berücksichtigt würden. Auch eine Zusammenarbeit mit den großen Arbeitgebern vor Ort ist in einigen Kommunen durchaus denkbar und wird teilweise bereits umgesetzt. Die finanziellen Mittel für diese Projekte stünden ebenfalls bereit. Nur das Problem des eklatanten Personalmangels lässt sich damit nicht lösen.
Verschärft wird dieses Problem nun durch die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden gravierenden Veränderungen auch im Bereich Kindertagesbetreuung: höhere Anforderungen an die Hygienestandards in den Einrichtungen und der vermehrt krankheits- oder quarantänebedingte Ausfall des Personals, teilweise die Schließung ganzer Gruppen und Einrichtungen. Hinzu kommen noch die teils schwierigen Elterngespräche rund um das Thema Umgang mit Krankheitssymptomen bei den zu betreuenden Kindern und natürlich die Sorge vor einer Ansteckung.  Das verbleibende Personal muss also noch mehr leisten. Ressourcen für zusätzliche flexible Betreuungsangebote bleiben da nicht. Aktuell sind jedoch die meisten Eltern froh, wenn überhaupt so etwas wie Regelbetrieb in den Kindertageseinrichtungen stattfindet.

Aus der Krise lernen: Neue Chance im nächsten Kita-Jahr
Dennoch hat die Krise bereits im ersten Lockdown gezeigt: Vieles ist möglich, als kreative, individuelle Lösungen im Rahmen der Notbetreuung notwendig waren. Hieran kann angeknüpft werden, wenn sich die Arbeitsgruppe der Münsterlandkreise und Stadt Münster zum neuen Kita-Jahr zusammensetzt, um die gemeinsamen Fördergrundsätze zu evaluieren und bei Bedarf anzupassen. Diese sind nämlich zur Erprobung zunächst nur für das laufende Kita-Jahr beschlossen worden.


Detlef Schütt
Quelle: Kreis Coesfeld