Der Kreis Recklinghausen blüht auf - Projekte für mehr Artenvielfalt

21. Februar 2019: Von Caroline Homm, Biodiversitätsmanagerin bei der Unteren Naturschutzbehörde, Kreis Recklinghausen.

Seit August vergangenen Jahres gibt es im Kreis Recklinghausen eine Biodiversitätsmanagerin. Neben der Entwicklung und Koordinierung zahlreicher Projekte zur Förderung der Biodiversität im Kreis, steht besonders die ökologische Aufwertung kreiseigener Flächen zu kleinen Hot-Spots der Biodiversität in den kommenden Jahren im Fokus.

Der Kreis Recklinghausen blüht auf - Projekte für mehr Artenvielfalt
Der Erhalt der Artenvielfalt ist eine der großen ökologischen Herausforderungen unserer Zeit. Die Nachrichten über das Verschwinden von Lebensräumen und Arten mehren sich stetig. Dabei sind die Ursachen vielfältig: Neben voranschreitender Versiegelung und Zerschneidung der Landschaft fordern auch eine intensivere Landwirtschaft und der Klimawandel ihren Tribut.
Von der UN-Dekade zur biologischen Vielfalt bis hin zur Biodiversitätsstrategie 2025 des Landes NRW wurden auf unterschiedlichsten Ebenen bereits vielfältige Strategien entwickelt - aber lokale Handlungsträger sind und bleiben jedoch meist die Kreise und Kommunen.
Dabei sind Untere Naturschutzbehörden mit dem Alltagsgeschäft mehr als ausgelastet und zusätzliche Themenfelder neben den angestammten Pflichtaufgaben kaum zu bewältigen. Zwar wird Biodiversität immer wieder in die verschiedenen bestehenden Verpflichtungen integriert und einzelne Artenschutzprogramme durchgeführt, für ein strukturiertes und wohldurchdachtes Vorgehen, welches möglichst viele Akteure mit einbindet, mangelt es allerdings oft an Kapazitäten. Diese Gedanken waren Basis für die Idee, Leistungen zur Steigerung der Biodiversität im Kreis Recklinghausen in einem neuen Gesamtprojekt zusammenzufassen. Mehr Mittel sollen gezielt in die richtige Bahn gelenkt und so Biodiversität durch Förderung neuer Angebote und weiterer Handlungshilfen gestärkt werden. Zentraler Bestandteil dieser Idee war die Schaffung einer neuen Stelle, deren Zuständigkeit sich auf die Förderung der Biodiversität fokussiert und nicht durch Pflichtaufgaben direkt gebunden ist. Seit August 2018 gibt es daher im Kreis Recklinghausen eine Biodiversitätsmanagerin.

Wohin die Reise geht
Die geplanten aber auch die schon gestarteten Projekte sollen dabei immer alle drei Ebenen der Biodiversität – Lebensraum- und Artenvielfalt sowie genetische Vielfalt –  und die Aspekte Nachhaltigkeit und Biotopverbund berücksichtigen. Insbesondere die letzten beiden Punkte sind zentral, um in den kommenden Jahren kein schnell wieder verglühendes Strohfeuer an Maßnahmen zu initiieren, sondern Strukturen zu ändern und neu zu schaffen, um auch langfristig die Biodiversität zu erhalten und zu fördern. Nicht abgedeckte Themenfelder sollen aufgegriffen sowie möglichst nachhaltige Strukturen geschaffen werden. Das heißt auch, möglichst viele Akteure einzubinden und durch Transparenz und Subsidiarität eine maximale Partizipation zu fördern.
Bei allen angestrebten Maßnahmen besteht in einer so dicht besiedelten Region, wie es der Kreis Recklinghausen am Rande des Ballungsraumes Ruhrgebiet ist,  das Leitbild einer Landschaft, welche sowohl dem Menschen als auch der Natur dienlich ist.

Was konkret geplant ist
Denkbare Maßnahmen, die alle eben genannten Kriterien vereinen, sind zahlreich. Ein besonderer Rückgang von Arten und Lebensräumen in NRW wurde in den vergangenen Jahren jedoch bei extensiven und hochwertigem Grünland verzeichnet; als ausgesprochen artenreiche Biotope werden Wiesen inzwischen mit sehr schlechtem Erhaltungszustand in der Statistik geführt.

Lebensraum Verbreitung Fläche Struktur und
Funktion
Zukunfts-
aussichten
Gesamt-
bewertung
Artenreiche
Mähwiesen
schlecht schlecht schlecht schlecht schlecht

Abbildung 1: Aktuelle Zustandsbewertung artenreicher Mähwiesen in NRW  (Quelle: FFH-Bericht NRW, LANUV).

Darum soll genau auf diesen Biotoptyp ein besonderes Augenmerk gelegt werden. In den vergangenen zehn Jahren hat der Kreis bachbegleitendes Grünland erworben und begonnen, die Gewässer im Rahmen der Umsetzung der Wasserrahmenrichtlinie mit den Wasser- und Bodenverbänden zu renaturieren. Bei dem Grünland zeigte sich, dass noch weiterhin viel Handlungspotential besteht, obwohl über Pachtverträge bereits eine extensive und somit artenfreundlichere Nutzung festgesetzt wurde. Die Flächen sind ob der langjährigen intensiven Bewirtschaftung hinsichtlich typischer Arten verarmt und regenerieren sich nur sehr langsam oder auch gar nicht. Aufgrund ihrer langfristigen Festsetzung eignen sie sich jedoch besonders gut für anspruchsvolle, langfristige Maßnahmen. Daher sollen diese bachbegleitenden Grünlandflächen in Zukunft – auch weil hier die Handlungsgrundlage einfacher ist – als Kernflächen der Biodiversität im Kreis qualifiziert werden.
Beispielhaft sei hier eine Fläche entlang eines FFH-Gewässers genannt. Sie wurde vor dem Erwerb ackerbaulich genutzt und war durch regelmäßige Düngung sehr nährstoffreich. Da sich artenreiche Wiesen nur auf eher nährstoffärmeren Böden etablieren können, wurde die Wiese mithilfe gezielter Ansaaten ausgemagert. Nach Vollendung der Gewässerentfesselung soll die Fläche mittels einer Mahdgutübertragung zu artenreichem Feuchtgrünland entwickelt werden. So entsteht ein komplexes Ökosystem aus naturnahem Gewässer und ökologisch wertvollem Grünland – langfristig ein blütenreiches Refugium für zahlreiche Insekten, Vögel und Amphibien.

 

Beispielfläche im NSG „Bachsystem des Wienbachs“
Quelle: Kartendaten ©Regionalverband Ruhr, ©Kreis Recklinghausen

Andere Grünlandflächen haben sich durch die Extensivierung der Nutzung bereits gut entwickelt, weisen aber immer noch zu wenige typische Arten auf. Um das Artenvorkommen zu erhöhen und den ökologischen Wert der Flächen zu steigern, werden streifenweise Einsaaten mit regionalem Saatgut vorgenommen oder auch Mahdgut streifenweise ausgebracht.


Frühjahrsblühaspekt einer extensiv bewirtschafteten Feuchtwiese im Kreisgebiet
Quelle: Jochen Ahlers

 Für große Neuansaaten wird derzeit eine auf den Naturraum abgestimmte Saatgutmischung zusammengestellt, welche auch zur Aufwertung sehr artenarmen Grünlands genutzt werden kann. Zudem ist die gezielte Vermehrung einzelner besonders gefährdeter Arten angedacht. Da häufig die inzwischen landwirtschaftlichen Gerätschaften eine für Naturschutzflächen untaugliche Größe erreicht haben, soll auch die dazu notwendige Ausrüstung gemeinsam mit der Biologischen Station Kreis Recklinghausen e.V. im notwendigen Umfang erworben und Bestandteil des Projektes werden. Eine zentrale Rolle könnte in diesem Zusammenhang eine professionelle Erntemaschine für Wildsamen bekommen, die im Rahmen dieses Projektes natürlich auch anderen interessierten Kreisen und Bewirtschaftern zur Verfügung gestellt werden kann.
Über die Vermehrung von Spenderflächen aber auch über die gezielte Suche nach weiteren geeigneten Empfängerflächen soll sich ein „Schneeballsystem der Artenvielfalt“ entwickeln, um dem Ziel ein Stück näher zu kommen, regionales Saatgut „aus der Region für die Region“ zu gewinnen, und nach und nach die Zahl hochwertiger Flächen zu vermehren.
Darüber hinaus finden zahlreiche flankierende Maßnahmen statt. Diese sollen möglichst viele private und öffentliche Akteure einbinden. Daher ist eine gute Öffentlichkeitsarbeit und Vernetzung von Bedeutung. Neben der Erstellung von Informationsmaterial über Fördermöglichkeiten und Handlungsleitfäden, ist derzeit eine eigene Homepage im Aufbau, Vernetzungstreffen mit Naturschutzverbänden und öffentlichen Flächeneigentümern sind anberaumt. Des Weiteren müssen Anreizsysteme geschaffen und Synergieeffekte genutzt werden. Häufig scheitern Projekte derzeit daran, dass Akteure – seien es nun Kommunen, Landwirte, oder Landbesitzer – das Problem zwar erkannt haben,  aber vertieftes Wissen oder Mittel fehlen. Wichtige Schnittstellen gibt es auch innerhalb der Kreisverwaltung. In diesem Jahr soll auf ausgesuchtem Straßenbegleitgrün, welches vom Kreis gepflegt wird, ein gezieltes Pflegemanagement versuchsweise installiert werden. Stellt es sich als praktikabel heraus, ließe sich dies in den nächsten Jahren auch mit den Kommunen im Kreis weiterentwickeln.


Caroline Homm
Quelle: Kreis Recklinghausen