Fachtag „Herausforderung KinderarMUT“ des Kreises Minden-Lübbecke

11. Oktober 2023: Von Edda Heinrichsmeier-Roth, Fachdienst „Frühe Hilfen“, Kreis Minden-Lübbecke

„Jede fünfte Familie mit Säuglingen und Kleinkindern lebt in Deutschland in Armut.“ So formuliert das nationale Zentrum Frühe Hilfen aktuelle Forschungsergebnisse. Armut, als bedeutender Risikofaktor für ein gesundes Aufwachsen von Kindern, wird damit zum Thema unmittelbar aus dem „Herzen“ der Gesellschaft. Familien in Armutslagen stellen somit eine bedeutende Zielgruppe der Frühen Hilfen dar. Ziel der Frühen Hilfen generell soll es sein, Familien an dieser Stelle ein unterstützendes Netzwerk zur Seite zu stellen und die Inanspruchnahme von Hilfen weiter zu fördern - ein Auftrag, der im Rahmen des Fachtages der Frühen Hilfen im Kreis Minden-Lübbecke 2023 seinen Platz gefunden hat.

Am 25. August 2023 fand der 8. Fachtag „Gesund Aufwachsen im Mühlenkreis“ der Frühen Hilfen des Kreises Minden-Lübbecke, sowie der Städte Minden, Porta Westfalica und Bad Oeynhausen und dem Gesundheitsamt des Kreises im Preußenmuseum in Minden statt.
Alle zwei Jahre veranstalten die Fachdienste Frühe Hilfen der Jugendämter im Kreisgebiet gemeinsam mit dem Gesundheitsamt einen Fachtag für Fachkräfte der Frühen Hilfen - und das bereits seit Beginn der Frühen Hilfen 2009. Die Fachtage dienen zum einen der Fortbildung von Fachkräften aus Beratungsstellen, Kitas, Gesundheitswesen, Jugendhilfe und interessierten Eltern- zum anderen nutzen sie der wichtigen Vernetzung der Akteurinnen und Akteure, die schwerpunktmäßig (werdende) Familien mit Kindern von 0 bis 3 Jahren unterstützen. Auch Fachkräfte aus Nachbarkreisen zählen häufig zu den Gästen.

Unter dem Schwerpunkt „Herausforderung KinderarMUT“ folgten rund 200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Einladung des Teams der Netzwerkkoordinierenden der Frühen Hilfen und des Gesundheitsamtes, die gemeinsam das Ziel verfolgt, Angebote weiterzuentwickeln und bestehende „Lücken“ in der bereits breit aufgestellten Hilfelandschaft zu schließen.

Nach einem Grußwort des Landrates des Kreises Minden–Lübbecke, Ali Doğan, führte die Moderatorin Astrid Laudage durch den Tag.
Im Rahmen von zwei spannenden und informativen Vorträgen wurde einerseits das „Gesicht“ von familiärer Armut betrachtet. Gerda Holz, Sozialarbeiterin und Politikwissenschaftlerin aus Frankfurt a.M. formulierte es sehr treffend: „Armutsprävention ist ein gesellschaftlicher Auftrag und gelingt über individuelle Förderung und Stärkung sowie strukturelle Entwicklungen.“ Des Weiteren wurde explizit der Zusammenhang von Kinderarmut und Kindergesundheit in den Blick genommen. Prof. Dr. Raimund Geene von der Berlin School of Public Health zeigte auf, dass Armutserfahrungen biografisch als identitätsstiftend bewertet werden können. „Betrachten Sie die Lebenswelten, Strategien und Ressourcen der Familien und beteiligen Sie sie im Rahmen einer gelingenden Prävention“, war sein Appell an die Zuhörenden.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer konnten sich im Rahmen einer Informationsbörse über bestehende Angebote informieren und miteinander ins Gespräch kommen. 25 Unterschiedliche Träger und Institutionen wie Beratungsstellen, Familienkasse, Frühförderstellen uvm. beteiligten sich daran mit Informationsständen.


Die Fachdienste Frühe Hilfen der Jugendämter unterstützen Familien präventiv.
Quelle: Kreis Minden-Lübbecke 

Auch in der täglichen Arbeit versuchen die Fachdienste Frühe Hilfen in den Jugendämtern Angebote und Unterstützung in einem präventiven Sinne für alle Familien zur Verfügung zu stellen – vor allem auch für Familien in belastenden Lebenslagen. Offene Angebote, die zum einen Treffpunkt-Charakter, zum anderen aber auch einen fachlichen Auftrag haben, sind beispielsweise das „Café Kinderwagen“ im ländlichen Raum des Kreises, in denen sich junge Familien mit Kindern bis 3 Jahren treffen und austauschen können. Begleitet wird das Angebot, das pro kreisjugendamtszugehörige Kommune einmal monatlich stattfindet, von einer Familienhebamme und/oder einer Familiengesundheits- und Kinderkrankenpflegerin. Es werden sowohl Vor- als auch Nachmittagstermine berücksichtigt, um auch berufstätige Eltern zu erreichen. Räumlichkeiten, in denen das Angebot stattfindet sind unter anderem Jugendzentren, Begegnungsstätten oder auch eine städtische Bücherei. Themen sind hier der Wunsch nach Kennenlernen anderer Eltern, Tipps und Hinweise zum Leben mit Baby bzw. Kleinkind, Ratschläge zur Entwicklung, Ernährung, Schlafverhalten uvm.; aber auch zu Belastungssituationen in Familien, psychischen Erkrankungen eines Elternteils, finanziellen Problemen. Oft vermitteln die anwesenden Fachkräfte an andere Institutionen, oder kommen bei entsprechendem Bedarf selbst in der Familie zum Einsatz.
Oftmals herrscht ein reger Austausch unter den Familien, manchmal auch in unterschiedlichen Sprachen. „Einige Mütter kommen mit ihren Kindern regelmäßig, und es kommen immer wieder neue dazu. Manchmal kommen nur zwei Mütter mit Kindern, an anderen Tagen bis zu zehn, dann ist richtig was los.“, berichtet Claudia Ferić, eine der begleitenden Familienhebammen. Eine Familienhebamme kann eine Familie im häuslichen Umfeld bis zum 1. Geburtstag eines Kindes begleiten und beratend und unterstützend zur Seite stehen. Beim Kreisjugendamt Minden-Lübbecke sind zwei Familienhebammen mit jeweils einer halben Stelle im Team Frühe Hilfen fest angestellt. Dies ermöglicht kurzfristige Absprachen und Einsätze in Familien, die so zeitnah unterstützt werden können.
Auch der Allgemeine Soziale Dienst des Kreisjugendamtes profitiert von den Familienhebammen: im Rahmen eines Onlinemeetings, das bereits zweimal stattfand, schulten die Familienhebammen die Kolleginnen und Kollegen in den Regionalteams über die gesunde Entwicklung von Kindern im ersten Lebensjahr und beantworteten viele Fragen; welche Meilensteine der kindlichen Entwicklung sollten wann erreicht sein? Wie deute ich Perzentilenkurven von Größe und Gewicht im Vorsorgeheft? Wie lese ich einen Mutterpass? Woran erkenne ich eine gute Entwicklung eines Kindes, wenn ich mir bspw. im Rahmen einer Überprüfung einer möglichen Kindeswohlgefährdung ein Baby anschaue? Jeweils bis zu 15 Kolleginnen und Kollegen des ASD nahmen an der Onlineveranstaltung teil und fühlten sich danach sicherer und besser aufgestellt, wenn es um die Einschätzung der Entwicklung von Kleinkindern geht.


Koordinieren die Frühen Hilfen im Kreisjugendamt: Edda Heinrichsmeier-Roth und Finja Brüske.
Quelle: Kreis Minden-Lübbecke

Die Familienhebammen sind die direkten Kolleginnen der zwei Koordinatorinnen der Frühen Hilfen, die im Kreisjugendamt zuständig sind für die Netzwerkarbeit, die Einzelfallhilfen und die Entwicklung offener Angebote für acht Städte und Gemeinden. Offene Angebote, wie das „Café Kinderwagen“, sollen einen niedrigschwelligen Zugang zu Hilfe und Unterstützung leisten. Dazu zählen auch die Sprechstunden in zwei Geburtskliniken im Kreisgebiet und die Sprechstunde in einer Hebammenpraxis. „Hier ergeben sich immer wieder Gesprächsanlässe und wir freuen uns, wenn Eltern sich im Nachhinein bei uns melden und wir- in welcher Form auch immer- unterstützen können“, sagt Finja Brüske, Koordinatorin im Kreisjugendamt seit 2021. Ihre Kollegin Edda Heinrichsmeier-Roth ergänzt: „Seit einigen Monaten beraten wir auch im Zentrum für seelische Gesundheit des Krankenhauses Lübbecke, wo auf einer Station junge Mütter mit ihren Babys aufgenommen werden können, die sich in psychischen Krisen befinden. Oft können wir hier Unterstützung bieten, wenn die Mutter mit Kind wieder im häuslichen Umfeld ankommt.“ Seit vielen Jahren gibt es als weiteres offenes Angebot der Frühen Hilfen die Elterninfoabende „Rundum informiert“ in den Geburtskliniken im Kreisgebiet. Sie finden an sechs Terminen im Jahr statt. 

In Zusammenarbeit mit den vier Schwangerenberatungsstellen, der Elterngeldstelle des Kreises Minden-Lübbecke, den Koordinatorinnen der Frühen Hilfen und der Kindertagespflege werden werdende Eltern umfassend über finanzielle und psychosoziale Unterstützungsleistungen, Abläufe im Klinikum und Kinderbetreuungsmöglichkeiten informiert. So erklären die Mitarbeiterinnen aus der Elterngeldstelle beispielsweise anhand des Elterngeldantrags, wer, wann, wieviel und nach welchem Modell Elterngeld beantragen kann.


Das mobile Angebot des Nationalen Zentrums Frühen Hilfen (NZFH).
Quelle: Kreis Minden-Lübbecke 

Da gerade in einem Kreisgebiet mit ländlichem Raum die (fehlende) Mobilität eine große Rolle spielt, beteiligten sich die Frühen Hilfen des Kreisjugendamtes Minden-Lübbecke im Mai 2023 am Modellprojekt „Frühe Hilfen sind da!“ des Nationalen Zentrums Frühen Hilfen (NZFH), finanziert aus Bundesfördermitteln „Aufholen nach Corona“. Ein entsprechend ausgestatteter Kleinbulli steuerte dafür an drei Tagen ein Mühlenfest und Supermarktparkplätze an, um die Frühen Hilfen in der ländlichen Region bekannt zu machen. Im Bulli gab es diverses Informations- und Spielmaterial, es gab die Möglichkeit zum Austausch und zu Beratung mit anwesenden Fachkräften.