Familienpolitik in den Kreisen

19. März 2021: GASTBEITRAG von Dr. Joachim Stamp, stellvertretender Ministerpräsident und Minister für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen
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Familien in ihrer ganzen Vielfalt stehen im Mittelpunkt der Politik der Landesregierung. Eltern dabei zu unterstützen, ihr eigenes Familienmodell leben zu können, ist für uns – und für mich persönlich – ein zentrales Anliegen.

Familien sind das Rückgrat unserer Gesellschaft. Auch in dieser Pandemie haben die Familien einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie geleistet. Insbesondere die doppelte Belastung durch Arbeit und gleichzeitig Betreuung bzw. Homeschooling hat Familien stark gefordert. Nicht wenige haben sich parallel auch noch um ältere Verwandte gekümmert. All das verdient großen Dank und Anerkennung, aber auch tatkräftige, gezielte Unterstützung von Familien, dort wo sie gebraucht wird – in der Pandemie und darüber hinaus.

Als Land haben wir deshalb u.a. in der Pandemie eine wichtige Lücke geschlossen: Zur Entlastung der Familien in der Pandemie hat der Bundesgesetzgeber für gesetzlich Versicherte die Zahl der Kinderkrankentage nach § 45 Sozialgesetzbuch V verdoppelt. Sie können zudem nicht nur dann genommen werden, wenn das Kind erkrankt ist, sondern auch, wenn die Schule oder Kindertagesbetreuung pandemiebedingt geschlossen oder nur eingeschränkt geöffnet ist. Leider gehen bei dieser Bundesregel privat Versicherte (beispielsweise Selbständige und Freiberufler) ebenso wie freiwillig gesetzlich Versicherte ohne Anspruch auf Krankengeld, Landwirte ohne Anspruch auf Krankengeld und auch gesetzlich Versicherte, deren Kinder privat versichert sind, leer aus.

Als einziges Bundesland haben wir deshalb mit der „Betreuungsentschädigung NRW“ ein eigenes Programm aufgelegt, um auch diese erwerbstätigen Eltern finanziell zu unterstützen, die ihr Kind pandemiebedingt zu Hause betreuen. Denn das Virus unterscheidet nicht nach Versichertenstatus, sondern zwingt alle gleichermaßen zur Kontaktreduzierung. Die NRW-Betreuungsentschädigung kann unbürokratisch und digital rückwirkend ab dem 5. Januar 2021 beantragt werden. Der Tagessatz orientiert sich am Höchstsatz der Verdienstausfallentschädigung nach § 56 Infektionsschutzgesetz und beträgt pauschal 92 Euro.

Das Thema Vereinbarkeit bleibt grundsätzlich eine der größten Herausforderungen für Familien. Mit unserer Landesinitiative chancen-durch-vereinbarkeit unterstützen wir seit längerem Arbeitgeber dabei, familienfreundliche Maßnahmen in ihren Betrieben vor Ort zu implementieren. Dabei arbeiten wir mit Unternehmerinnen und Unternehmern, Wirtschaftsförderungsgesellschaften und Forschungsinstituten eng zusammen. Begleitet durch wissenschaftliche Expertise haben wir im Rahmen unserer Initiative lokale Tandems aus Unternehmen des Mittelstands gegründet – Lernpartnerschaften, in denen neue familienfreundliche Instrumente vor Ort umgesetzt werden und erfahrene Unternehmen weniger erfahrene Betriebe coachen. In Filmen, Podcasts und Interviews stellen wir auf unserem Portal www.chancen-durch-vereinbarkeit.nrw.de die guten Beispiele zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf öffentlich vor und unterstützen mit Informationen, Checklisten und Austausch. Insbesondere während der Covid-19-Pandemie haben die positive Resonanz und die sprunghaft gestiegenen Zugriffszahlen deutlich gemacht, dass wir hier auf dem richtigen Weg sind.

Besonders gefordert sind Alleinerziehende: Schon in normalen Zeiten ist es herausfordernd, neben Beruf und Alltag, die Erziehungs- und Familienaufgaben im Alltag allein zu bewältigen. Durch die Restriktionen, die allen die Pandemie aufzwingt, ist diese Aufgabe noch einmal größer geworden. Deshalb haben wir hier schnell reagiert und fördern seit beinahe einem Jahr eine Krisen-Hotline für Alleinerziehende beim Verband alleinerziehender Mütter und Väter NRW e.V. Sie leistet psychosoziale Hilfestellungen und fungiert als Wegweiser bei allen Fragen zu finanziellen Leistungen des Staates während der Covid-19-Pandemie.

Außerdem ist es uns sehr wichtig, das umfangreiche psychosoziale Unterstützungs- und Beratungsangebot für Familien in Nordrhein-Westfalen gerade auch während der Pandemie sicherzustellen. So haben wir die Förderung in diesem Bereich fortgesetzt, zudem auch digitale Formate unterstützt und einen umfangreichen Rettungsschirm gespannt für Träger der Schwangeren- und Familienberatung und der Familienbildung. Familien nutzen in der aktuellen Krise diese Angebote.

Die Herausforderungen für Familien waren aber auch schon vor der Corona-Krise hoch: Ob steigende Anforderungen bei der Kindererziehung, höhere Erwartungen an ein gelingendes Familienleben, die stärkere Ausdifferenzierung von Lebenslagen und Lebensphasen, mitunter Hilfe für pflegebedürftige Eltern oder der Wandel der Arbeitswelt: Diese vielfältigen Veränderungen machen ein differenziertes, aber vor allem vernetztes Unterstützungsangebot für Familien notwendig.

Ausgerechnet die Corona-Pandemie ist es, die dabei auch Chancen aufzeigt: Durch neue digitale Möglichkeiten des mobilen und flexiblen Arbeitens haben viele Familien die Chance, ihre eigenen Lebensmodelle noch besser verwirklichen zu können, zum Beispiel eine bessere Vereinbarkeit leben zu können und ihren Wohnort dabei auch freier wählen zu können. Wir sollten dies gemeinsam unterstützen. Solche Entwicklungen bieten nicht zuletzt auch große Chancen für den ländlichen Raum, wie wir bereits jetzt sehen können.

Mobiles Arbeiten und der damit verbundene teilweise Wegfall von Pendelstrecken hat ein Leben auf dem Land für viele Familien wieder attraktiver gemacht. Jetzt kommt es darauf an, das Angebot für Familien in den kleinen und mittelgroßen Gemeinden und Städten auch mit Hilfe der Digitalisierung auszubauen.

Die Landesregierung hat schon vor der Pandemie begonnen, die Digitalisierung der Verwaltung für Familien offensiv vorantreiben. Sie unterstützt die Kommunen dabei mit dem Aufbau eines zentralen Kommunalportals, um Onlinedienste z.B. auch für kleine Kommunen nutzbar zu machen. Ergänzend bauen wir ein Familienportal auf, das perspektivisch alle familienbezogenen Leistungen bündelt. Ich möchte, dass die vielen verschiedenen Angebote für Familien in Nordrhein-Westfalen bequem von zu Hause aus auffindbar und unbürokratisch zugänglich sind.
Denn entscheidend für die Lebensqualität von Familien sind vor allem die Lebensbedingungen und Lebenschancen vor Ort. Hierauf haben sich Städte, Kreise und Gemeinden seit langem eingestellt und ein breites Angebotsspektrum entwickelt. Wir wollen sie angesichts des Wandels der Familienbilder sowie der Bedingungen, unter denen Familie gelebt wird, auch künftig in ihrer Familienpolitik stärken und nachhaltig dabei unterstützen, die Familienpolitik der Zukunft zu gestalten.

Im Zentrum dieser Unterstützung steht das Bemühen, ein strategisches Vorgehen in der kommunalen Familienpolitik zu stärken. Hierbei kommt es weniger auf Einzelprojekte oder ganz bestimmte Maßnahmen an. Vielmehr steht die Entwicklung einer Gesamtstrategie beim Querschnittsthema Familienpolitik im Mittelpunkt. Bedarfsfeststellung, Beteiligung, Zielformulierung und ein zielorientierter Maßnahmenkatalog sowie Ressourceneinsatz sind wichtige Bestandteile eines solchen strategischen Vorgehens. Das ist wichtig, weil in jedem Kreis, in jeder Kommune zahlreiche Akteure mit dem Thema befasst sind bzw. befasst sein sollten. Sie sollten möglichst alle an einem Strang ziehen, um Familienpolitik vor Ort voran zu bringen.

Dabei ist für uns klar, dass es für die Bewältigung dieser Zukunftsaufgaben keine vorgefertigten Lösungen geben kann, sondern dass es darum geht, in Kreisen, Städten und Gemeinden jeweils einen eigenen, den jeweiligen Möglichkeiten in den Kreisen und Kommunen und den Bedürfnissen der Familien entsprechenden Weg zu gehen.

Wir stellen aber einen Rahmen zur Verfügung, in dem kommunale Akteure sich über Erfahrungen mit erprobten Ansätze austauschen und gemeinsam neue Maßnahmen entwickeln und umsetzen können.

Für die Stärkung einer strategisch ausgerichteten, nachhaltigen kommunalen Familienpolitik bieten wir seit Jahren den Zertifikatskurs „Kommunales Management für Familien“ an. Fast 200 Akteure aus allen Landesteilen und Kommunentypen Nordrhein-Westfalens haben dieses Angebot genutzt und vor Ort ganz unterschiedliche Maßnahmen umgesetzt. Nach Aufhebung der Kontaktbeschränkungen infolge der Pandemie führen wir dieses Qualifizierungsangebot fort.

Als ein für Familien besonders hilfreiches Angebot hat sich bei der Arbeit der Familienmanagerinnen und Familienmanager in Nordrhein-Westfalen das Konzept des kommunalen Familienbüros erwiesen. Das Familienbüro dient Familien als niedrigschwellige Service- und Lotsenstelle und trägt so zu einer verbesserten Informationslage für Familien bei. Der Aufbau eines Familienbüros ist aber häufig zugleich auch ein Anlass, innerhalb der Verwaltung und Trägerlandschaft konzeptionell und zielorientiert(er) zusammen zu arbeiten. Insgesamt wird auf diese Weise das Querschnittsthema Familienpolitik in viele Bereiche der Verwaltung getragen.

Wir haben uns aus diesem Grund entschieden, beim Programm „kinderstark“ eine Fördermöglichkeit für die Erst-, Ergänzungs- und Ersatzbeschaffungsmaßnahmen, kleine bauliche Maßnahmen sowie die konzeptionelle Weiterentwicklung der Familienbüros zu schaffen. Das Programm „kinderstark“ ist eine auf Dauer angelegte Neuausrichtung der Präventionspolitik des Landes und gibt den Kommunen neue Handlungsspielräume zum Aufbau von Präventionsketten.

Gefördert werden vorrangig strukturbildende Maßnahmen zur Stärkung kommunaler Vernetzung und Koordinierung in Hinblick auf die fachbereichsübergreifende Zusammenarbeit und Unterstützung von Kindern, Jugendlichen und Familien. Aufgabe ist die Bündelung vorhandener Akteure und die Optimierung der örtlichen Angebote besonders aus den Bereichen Gesundheit, Bildung, Kinder- und Jugendhilfe, Stadtentwicklung und Soziales.

Wichtig ist uns als Landesregierung darüber hinaus, für die Arbeit vor Ort inhaltliche Impulse zu geben und die kommunalen Akteure bei der Umsetzung von Maßnahmen zu begleiten. Wir werden deshalb in der zweiten Jahreshälfte in unterschiedlichen Formaten einen interkommunalen Austausch zu den Themen Familienzeitpolitik, Digitalisierung, wirtschaftliche Situation von Familien sowie Zusammenleben von Generationen anbieten. Dazu möchte ich Sie schon heute herzlich einladen!

Dr. Joachim Stamp - Quelle: MKFFI NRW