Gegen den Artenschwund: Das Wiesenprojekt im Bergischen Land

20. Februar 2019: Von Jan Kiefer, Amt für Planung, Mobilität und Regionale-Projekte, Oberbergischer Kreis und Michael Flaig, Amt für Planung und Landschaftsschutz, Rheinisch-Bergischer Kreis

Wiesen und Weiden sind zwei prägende Landschaftselemente im Bergischen Land. Aber auch dieser an sich äußerst artenreiche Offenlandlebensraum, leidet heute unter dem Rückgang der Artenvielfalt. Mit Hilfe der lokal gewonnenen Bergischen Wiesensamen sollen deshalb artenarme Grünlandbestände angereichert und naturschutzfachlich aufgewertet werden.

In Mitteleuropa gelten die Lebensgemeinschaften des Offenlandes aus floristischer und faunistischer Sicht als sehr artenreich und besitzen eine zentrale Bedeutung für die Biodiversität der mitteleuropäischen Kulturlandschaften. In den letzten Jahrzehnten wird in Nordrhein-Westfalen jedoch ein zunehmender Verlust dieser Lebensräume und Arten festgestellt. Die Gründe dafür sind vielfältig. Auch im Bergischen Land unterliegen die hier landschaftsprägenden Grünlandlebensgemeinschaften stetigen Veränderungen: die einst artenreichen und bunten bergischen Wiesen bieten heute ein immer weniger vielfältiges Bild. Selbst in den oberbergischen und rheinisch-bergischen Naturschutzgebieten gibt es Grünlandbereiche, die artenarm sind und in ihrer Entwicklung stagnieren. Und das trotz einer z. T. bereits seit Jahren andauernden zielgerichteten und lebensraumorientierten Pflege oder extensiven Nutzung der Flächen im Rahmen des Vertragsnaturschutzes. Viele konkurrenzschwache Grünlandpflanzen sind oftmals bereits verschwunden. Hinzu kommt, dass sich artenreiche Zielgesellschaften vielfach auch nicht mehr von selbst einstellen können, da das dafür notwendige Samenmaterial nicht mehr im Boden vorhanden ist. Auch artenreiche Nachbarflächen, aus denen eine Einwanderung an Arten erfolgen könnte, fehlen oftmals.

Gemeinsam Lösungen finden
Diese Entwicklung haben der Oberbergische Kreis, der Rheinisch-Bergische-Kreis und die Biologischen Stationen Oberberg und Rhein-Berg gemeinsam zum Anlass genommen, das Wiesenprojekt zu realisieren. Auf dem Gebiet der beiden Landkreise sollen mit Hilfe dieses Projektes vornehmlich artenarme Grünlandbestände in Schutzgebieten mit gebietsheimischem Samenmaterial aus dem Bergischen Land im Verlauf mehrerer Jahre angereichert werden. Auf diese Weise werden die artenarmen Grünlandbestände um viele fehlende und seltene Pflanzenarten ergänzt. Das Ziel sind stabile Grünlandgesellschaften, in denen sich die eingebrachten Arten unter einer extensiven Bewirtschaftung dauerhaft und selbstständig etablieren können. Langfristig kann so eine Verbesserung des Erhaltungszustandes von extensiv bewirtschafteten Grünlandbeständen erreicht und eine zukünftig verstärkte natürliche Ausbreitung der Arten in der Landschaft gefördert werden. Der gemeinsame Ansatz wurde bewusst gewählt, um möglichst viele Synergien nutzen zu können. Die beiden Kreise decken flächenmäßig weite Teile des Bergischen Landes und damit einen zusammenhängenden Naturraum ab. Die Biologischen Stationen in Oberberg und Rhein-Berg verfügen über umfangreiche fachliche Kenntnisse in der Fläche und den Kontakt zu den Flächenbewirtschaftern vor Ort. Darüber hinaus pflegen die im Projekt agierenden Personen und Institutionen bereits seit langem eine vertrauensvolle Zusammenarbeit.

Aufwertung durch Anreicherung
In der Landschaftspflege sind deutschlandweit verschiedene Verfahrensweisen für eine Grünlandrestitution bekannt und erprobt. Allerdings kann nicht jede Methode in jedem Fall in größerem Maßstab eingesetzt werden, da umfangreichere regionaltypische Beispiele fehlen und insbesondere naturraumtypisches Saat- und Pflanzgut nicht in ausreichenden Mengen und Qualitäten vorhanden ist. Die Aufwertung und Entwicklung von bestehenden artenarmen Grünlandbeständen ist zudem noch nicht sehr verbreitet.
Um diese Lücke für den Rheinisch-Bergischen und Oberbergischen Kreis zu schließen, wird im Rahmen dieses Projektes Samenmaterial von ausgewählten artenreichen Grünlandbeständen und unter Berücksichtigung naturschutzfachlicher Aspekte gewonnen. Die Gewinnung des Samenmaterials erfolgt u. a. mit Hilfe einer speziellen Erntemaschine.


Maschinelle Ernte der Wiesensamen
Quelle: Biologische Station Oberberg/A. Horwath

Die mit vier Elektromotoren angetriebene Maschine wird im Handbetrieb über die Fläche gefahren und kämmt mit Hilfe einer Rollbürste das reife Samenmaterial aus Ähren- und Blütenständen. Im Anschluss an die Samengewinnung kann der Grünlandbestand wie bisher zur landwirtschaftlichen Futtermittelgewinnung genutzt und geerntet werden – ein wesentlicher Vorteil dieser Methode. Für die Gewinnung des Samenmaterials eignen sich grundsätzlich alle Flächen, die noch das für ihre Grünlandgesellschaft maßgebliche Arteninventar enthalten. Die Wahl des richtigen Erntezeitpunktes ist dabei von großer Bedeutung. So sollte die Gewinnung des Samenmaterials zum Reifezeitpunkt möglichst vieler verschiedener Pflanzenarten erfolgen oder auch ein zweiter Erntedurchgang eingeplant werden. Das gewonnene Samenmaterial wird, getrennt nach Einzelstandort und Erntetermin, im Anschluss gereinigt, getrocknet, etikettiert und eingelagert. Samen von einzelnen Arten, die nicht von der Bürste erfasst werden können, werden zusätzlich von Hand gesammelt.


Trocknung der geernteten Wiesensamen
Quelle: Bergische Agentur für Kulturlandschaft gGmbH/M. Schauder


Gefräste Grünlandfläche vor der Herbsteinsaat
Quelle: Biologische Station Oberberg/O. Schriever

Die im Sinne des Projektes geeigneten Empfängerflächen müssen bestimmte Anforderungen in Bezug auf ihren aktuellen Zustand und die aktuell praktizierte Bewirtschaftung erfüllen. So sollten die Flächen innerhalb von besonderen Schutzgebieten liegen, ein bereits geringes pflanzenverfügbares Nährstoffangebot im Boden und eine langfristig an naturschutzfachlichen Aspekten orientierte Bewirtschaftung der Grünland- bzw. Offenlandfläche aufweisen. Ein weiteres Kriterium ist die Lage und die Ausrichtung der Fläche im Gelände. Bei einer beispielsweise steilen und trockenen Fläche ist auch langfristig von einer eher extensiven Nutzung auszugehen. Das Samenmaterial wird nur auf Teilbereichen der Anreicherungsfläche ausgebracht, da nach erfolgreicher Etablierung von einer weiteren natürlichen Verbreitung der Pflanzen auszugehen ist. Als Bodenvorbereitung reicht in den ausgewählten Teilbereichen in der Regel ein zweimaliges Fräsen der vorhandenen Grasnarbe aus. Für die Ausbringung wird das Samenmaterial mit Sand vermischt und per Handwurf gleichmäßig ausgebracht. Im Anschluss erfolgt ein Anwalzen des Materials, um den für die Keimung notwendigen Bodenkontakt herzustellen.

Abstimmung notwendig
Um auf einer Fläche Ernten oder Anreichern zu können, sind zahlreiche Abstimmungen mit verschiedenen Akteuren notwendig. Mit der Flächenakquise, der Ernte und der Ausbringung des Samenmaterials ist die Bergische Agentur für Kulturlandschaft gGmbH beauftragt. Diese stimmt sich fachlich eng mit den beiden Biologischen Stationen zur Flächenauswahl ab. Die Finanzierung des Projektes erfolgt durch die beiden Kreise mittels der nach § 31 LNatSchG NRW vereinnahmten Ersatzgelder. Die Finanzierung des Projektes mit Hilfe von Ersatzgeld ist eng mit der Höheren Naturschutzbehörde (Bezirksregierung Köln) abgestimmt.
Die Ernte und der Erntezeitpunkt müssen nach Möglichkeit bereits frühzeitig mit dem jeweiligen Flächenbewirtschafter abgesprochen werden. Besonderer Abstimmungsbedarf ergibt sich dabei aus der Tatsache, dass der Zeitpunkt für die Samenmaterialernte auch mit dem Zeitpunkt für den ersten Heuschnitt des Bewirtschafters zusammenfällt. Für die Anreicherung sind weitergehende Abstimmungen notwendig, da der Bewirtschafter der Anreicherung grundsätzlich zustimmen und darüber hinaus auch eine langfristig angepasste Bewirtschaftung sichergestellt sein muss. Weil die Ernte und Anreicherung vorrangig in Naturschutzgebieten stattfinden soll, finden auch mit den unteren Naturschutzbehörden der Kreise enge Abstimmungen und ein regelmäßiger Austausch statt. Die temporäre Bodenbearbeitung wird zusätzlich mit der Landwirtschaftskammer NRW abgestimmt, um die nutzungsgebundenen Prämienzahlungen aus dem EU-Agrarfonds an den Flächenbewirtschafter nicht zu gefährden.

Die ersten Schritte sind gemacht


Angereicherte Fläche sieben Wochen nach Aussaat.
Quelle: Bergische Agentur für Kulturlandschaft gGmbH/M. Schauder

Im Herbst 2018 erfolgte die erste große Anreicherungsmaßnahme auf einer ca. 5 ha großen Grünlandfläche im Oberbergischen Kreis. Nach der erforderlichen Bodenbearbeitung wurde von den Mitarbeitern der Bergischen Agentur für Kulturlandschaft gGmbH gesammeltes und getrocknetes Samenmaterial ausgebracht. Bei den ersten Sichtkontrollen sieben Wochen nach der Ansaat zeigten sich bereits flächendeckend diverse Keimlinge von Gräsern und Blühpflanzen. Im Rahmen des begleitenden Monitorings werden dann auch in den nächsten Entwicklungsstadien die Artenzusammensetzung und die Abundanz der Arten ermittelt. Aktuell entwickelt sich das Wiesenprojekt sehr vielversprechend – ein langfristiger Erfolg wird sich erst nach dem Ablauf einiger Vegetationsphasen feststellen lassen.


Jan Kiefer
Quelle: Oberbergischer Kreis