Mutig aus der Krise
Wir leben in unruhigen Zeiten. Die Corona-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen haben Deutschland und NRW die schwerste Rezession seit dem zweiten Weltkrieg beschert. Und die Hochwasserkatastrophe im Juli hat einige Regionen unseres Landes mit voller Härte getroffen; die vielen persönlichen Schicksale erschüttern uns alle. Mich freut, dass wir in dieser Situation eine beispiellose, übergreifende sowie zutiefst beeindruckende Solidarität und Hilfsbereitschaft der Menschen und der Unternehmen in unserem Land erleben. Denn auch die wirtschaftlichen Auswirkungen sind massiv. Die tausenden Betriebe in den Krisenregionen und ihre Beschäftigten halten in diesen schweren Tagen eng zusammen. Unzählige Unternehmen stehen den Betroffenen sowohl mit praktischer Unterstützung als auch finanziell zur Seite. Und es ist gut, dass Bund und Länder umfangreiche und schnelle Hilfe auf den Weg gebracht haben.
So dramatisch diese Ereignisse sind, zeigen sie auch deutlich die Dringlichkeit, sich den enormen Herausforderungen der Krisenbewältigung zu stellen und dabei Mut, Zuversicht und Tatkraft zu beweisen. Nordrhein-Westfalen steht in vielerlei Hinsicht vor einem gleichermaßen intensiven wie notwendigen Aufholprozess. Denn die Corona-Pandemie hat uns zweifelsohne unsere Stärken, aber ebenso schonungslos unsere Schwächen vor Augen geführt. An Erkenntnissen mangelt es also nicht.
Positiv für unser Bewusstsein ist, dass unser Staat stark genug ist, um für eine Überbrückungszeit die ökonomischen Lebensgrundlagen unseres Landes zu erhalten. Das war auch deshalb möglich, weil Deutschland nach einem zehnjährigen Aufschwung eine starke wirtschaftliche Basis hat. Zugleich profitiert unser Land von einer unter dem Strich soliden und verantwortungsvollen Finanzpolitik, die die notwendigen Spielräume erst möglich gemacht hat.
Doch wir haben auch gelernt, dass die Luft schnell dünn wird, wenn die Wirtschaft nicht läuft, die Ausgaben des Staates durch die Decke schießen und zugleich die Einnahmen in den Keller gehen. Wir sollten daraus für die Zukunft mitnehmen, dass unser Staat auf Dauer ohne die Soziale Marktwirtschaft weder leistungs- noch handlungsfähig ist. Wer Unternehmer zuversichtlich stimmen will, der sollte ihnen zeigen, dass ihre Leistung als Voraussetzung für sichere Arbeitsplätze, breitem Wohlstand und soliden Steuereinnahmen anerkannt ist. Ich kann der Politik nur empfehlen, darauf zu bauen und auch zu vertrauen.
Als eine der größten „Baustellen“ hat sich in der Corona-Krise das gesamte Feld der Digitalisierung erwiesen. Die Innovationsfähigkeit unseres Landes und seine Leistungsfähigkeit wurden hier während der Corona-Pandemie einem Härtetest unterzogen, der nicht überall bestanden wurde. Herausgreifen möchte ich die öffentliche Verwaltung, Schulen und Hochschulen. Hier hat die Pandemie den Nachholbedarf offengelegt. Es ist jedem klargeworden, dass sich viele Vorgänge digital schneller und unbürokratischer umsetzen lassen. Ziel muss es sein, alle Verwaltungsvorgänge so schnell wie möglich komplett digital ausführen zu können. Hier können wir von anderen Ländern einiges lernen. Und mit Blick auf die Zukunft müssen wir mutiger sein und mehr agieren, anstatt nur zu reagieren. Vieles, was in der Corona-Pandemie aufs Digitale verlagert wurde, wie mobiles Arbeiten, hybride Veranstaltungen oder auch digitaler Unterricht wird auch nach der Pandemie wichtig bleiben. Hier sollten wir die Erkenntnisse dieser Zeit nutzen: Was hat online gut funktioniert, wo müssen wir nachsteuern? Bei alldem ist klar, dass es hierfür einer flächendeckenden digitalen Infrastruktur bedarf, die bis heute in manchen Regionen fehlt.
Heterogene Regionen und Kreise
Wirtschaftlich fallen die Auswirkungen der Pandemie in den verschiedenen Branchen höchst unterschiedlich aus. Die Industrieproduktion hat sich in manchen Branchen inzwischen weitgehend dem Vorkrisenniveau von 2019 angenähert, der Produktionsindex des Bauhauptgewerbes lag zuletzt sogar deutlich darüber! Völlig andere Vorzeichen erleben wir im Gastgewerbe: Stellvertretend für viele kontaktintensive Dienstleistungsbranchen, die von der Krise am heftigsten getroffen wurden, hatte die Branche mit Umsatzeinbrüchen von bis zu 80 Prozent zu kämpfen.
Diese Heterogenität sehen wir auch in den verschiedenen Regionen und Landesteilen von NRW. Überall dort, wo die Industrie stark vertreten ist, wurde die Krise vor allem in den letzten Monaten besser bewältigt, da sie von der wieder anziehenden Nachfrage und den guten Exportaussichten am meisten profitierte. Auffallend ist, dass Städte und ländliche Regionen mit unterschiedlicher Geschwindigkeit aus der Krise herauskommen. Insbesondere die mittelständischen Kraftzentren in den ländlichen Industrieregionen haben dafür gesorgt, dass etwa Gebiete wie Süd- und Ostwestfalen oder das Münsterland unter dem Strich besser dastehen. Hinzu kommt, dass die am heftigsten betroffenen Wirtschaftsbereiche wie Gastronomie, Hotellerie, Veranstaltungs-, Kultur- und Freizeitbranche dort in der Breite vergleichsweise weniger stark vertreten sind.
Der Arbeitsmarkt in NRW zeigte sich über die gesamte Corona-Krise hinweg als relativ stabil. Dazu beigetragen hat das Instrument der Kurzarbeit, das sich einmal mehr in wirtschaftlichen Krisenlagen bewährt hat, aber auch das große Engagement der Unternehmen, die zum Teil ihr Eigenkapital eingesetzt haben, um ihre Beschäftigten weitgehend an Bord zu halten. Jetzt kommt es darauf an, die wirtschaftliche Erholung nicht durch einen erneuten Lockdown oder vergleichbare Einschränkungen zu gefährden.
Nordrhein-Westfalen ist ein Industrieland. Seine geschlossenen industriellen Wertschöpfungsketten sind ein Alleinstellungsmerkmal im Standortwettbewerb. Doch nicht nur für NRW, auch für ganz Deutschland hat die Corona-Krise gezeigt, wie wichtig ein starker industrieller Kern als Stabilitätsanker und Innovationstreiber für die deutsche Wirtschaft ist. Umso wichtiger ist ein verlässliches wirtschaftspolitisches Umfeld für einen dauerhaft widerstandsfähigen und nachhaltigen Industriestandort. Bereits vor der Pandemie standen wir vor großen Herausforderungen. Die sind nicht weg. Die Welt verändert sich in einer nie gekannten Geschwindigkeit: Die digitale und nachhaltige Transformation, die Energie- und Mobilitätswende, der demografische Wandel, die Finanzierung unserer sozialen Sicherungssysteme und die neuen Herausforderungen im internationalen Handel – Themen, die mutige politische Antworten verlangen.
Die digitale und nachhaltige Transformation schaffen
Die besondere Herausforderung des Klimawandels ist uns allen präsent. Und es ist völlig unstrittig, dass die digitale und nachhaltige Transformation unseres Landes eine Jahrhundertaufgabe ist, die wir mit aller Kraft angehen müssen. Die Anstrengungen unseres Landes, das ist meine feste Überzeugung, sind bereits heute immens. Das kommt mir in der öffentlichen Debatte viel zu kurz. Ich habe Sorge vor einem dauerhaften politischen Wettbewerb um die höchsten Ziele, der dabei aber den Weg dorthin immer mehr aus den Augen verliert. Die Politik darf Unternehmen und die Menschen hier nicht überfordern. Es muss gelingen, den Klimaschutz in der Sache voranzubringen, ohne Wohlstand und Arbeitsplätze in unserem Land zu gefährden. Uns allen muss klar sein, dass die ganze Welt darauf schaut, ob unserem Land die angestrebte Turbo-Transformation auch wirtschaftlich und gesellschaftlich gelingt. Sonst wird uns das niemand nachmachen.
Gleiches gilt für die Erkenntnis, dass wir deutlich schneller werden müssen in unserem Land. Der rasante Wandel in vielen Bereichen duldet keine Verspätungen. Im Gegenteil: Wir brauchen eine erhebliche Tempoverschärfung beim Ausbau der Erneuerbaren Energien sowie der Energienetze, -speicher und Ladesäulen. Wenn wir hier nicht mit aller Kraft schleunigst investieren, werden wir die Energie- und Mobilitätswende nicht schaffen. Und das geht nur mit deutlich beschleunigten Planungs- und Genehmigungsverfahren auf allen staatlichen Ebenen. Hier muss die Politik nicht nur Versprechungen machen, sondern endlich auch handeln!
Eines ist klar: Ohne eine leistungs- und wettbewerbsfähige Wirtschaft wird uns der Aufholprozess nicht gelingen. Es ist die erfolgreiche Kombination aus global agierenden Konzernen und einem zumeist inhabergeführten und so in der Welt wohl einmaligen Mittelstand, die den Kern der ökonomischen DNA unserer Volkswirtschaft ausmacht. Für uns hier in Nordrhein-Westfalen gilt das allemal. Die Politik weiß, wie sehr unser Land darauf angewiesen, dass die Wirtschaft läuft.
Und deshalb ist mir ein Gedanke noch besonders wichtig: Wir sollten uns nicht daran gewöhnen, dass der Staat zu lange und zu viel in das Wirtschaftsgeschehen eingreift. Ein in Krisensituationen handlungsfähiger Staat ist ohne Frage enorm wichtig. Das Eingreifen von Bund und Land in der Corona-Pandemie hat die Wirtschaft vor einem Zusammenbruch und viele Arbeiternehmer vor der Arbeitslosigkeit bewahrt. Trotzdem dürfen solche Mittel immer nur befristet und von kurzer Dauer sein. Wir sollten nicht der Illusion erliegen, dass der Staat der bessere Unternehmer sei.
Arndt G. Kirchhoff
Quelle:unternehmer nrw