Nachwuchsförderung im Kreis Borken: Universell. Lokal. Vernetzt.

11. August 2021: Von Katharina Reinert, Bereichsleiterin Fachkräftesicherung und Breitband, Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Borken mbH

Die Corona-Zeit hat in vielen Regionen auch im Hinblick auf die adäquate Besetzung offener Stellen durch Nachwuchskräfte deutliche Spuren hinterlassen. Am Ausbildungsmarkt machen sich bereits heute erste Engpässe bemerkbar. Für die regionale Wirtschaft gewinnt es daher zunehmend an Bedeutung ein besonderes Augenmerk auf Kinder und Jugendliche als Standbein der Zukunft legen. Die Wirtschaftsförderungsgesellschaft für den Kreis Borken (WFG) geht dabei bereits seit mehr als einem Jahrzehnt einen besonderen Weg: So werden von klein an für alle Altersgruppen Angebote zur Nachwuchsförderung entlang der Bildungskette forciert, die sich konsequent an den Fachkräftebedarfen der regionalen Unternehmen orientieren.

Der Kreis Borken ist geprägt durch einen starken Mittelstand, der sich selbst in Krisenzeiten wie diesen als weitgehend stabil erweist. So bewegt sich die Arbeitslosenquote aktuell um vier Prozent, während gleichzeitig in vielen Berufszweigen der Fachkräftemangel akut bleibt. Dies schlägt sich derzeit auch auf dem Ausbildungsmarkt nieder: So zählt die Agentur für Arbeit für den Kreis Borken im Juni 2021 erstmals drei Mal mehr offene Stellen als Bewerber. Trotz des offensichtlichen Überhangs bleiben Bewerber weiterhin unversorgt. Die Gründe sind vielschichtig und die Auswirkungen in den Berufsfeldern differenziert zu betrachten. 
Die Ausbildung im eigenen Haus ist für die mittelständisch geprägte Wirtschaft im Kreis Borken ein wichtiger Baustein für eine nachhaltig erfolgreiche Fachkräftesicherung und Unternehmensentwicklung. Klein und mittelständische Unternehmen (KMU) sind jedoch oftmals weniger bekannt als Großunternehmen und daher als potenzielle Arbeitgeber weniger sichtbar. Ein Handlungsvorschlag für Unternehmen besteht daher darin, die Rekrutierungsaktivitäten in der Region zu verstärken. Dazu zählen etwa klassische Orientierungsmaßnahmen in Kooperation mit Schulen. Im Kreis Borken gehen viele Unternehmen sogar einen Schritt weiter und forcieren gemeinsam mit der örtlichen Wirtschaftsförderungsgesellschaft Angebote entlang der gesamten Bildungskette. Der Ansatz zur Nachwuchsförderung zielt darauf ab, nicht nur Unternehmen für Nachwuchskräfte in der Region bekannter zu machen, sondern leistet auch einen Beitrag dazu, Ausbildungskompetenzen zu verbessern und kontinuierlich Zugänge zu aktuell und zukünftig gefragten Tätigkeitsfeldern in der Region zu schaffen. Die beteiligten KMU machen dazu ihre benötigten Kompetenzen in Abhängigkeit von den Unternehmensschwerpunkten erlebbar und verdichten diese altersgemäß vom Kindergarten bis zum Schulabschluss.

Nachwuchsförderung als kommunale Aufgabe
Teil des Aufgabenspektrums der WFG ist seit nunmehr 11 Jahren die Fachkräftesicherung und im speziellen auch die Nachwuchsförderung. Heute verfügt die WFG ein breites Angebotsspektrum, das größtenteils im sogenannten „zdi-Zentrum Kreis Borken“ (zdi = Zukunft durch Innovation) unter dem Dach der WFG verankert ist. Die Wirkung der Angebotspalette ist durchaus langfristig zu betrachten, aber schon heute zeigen sich handfeste Erfolge für die Region:

  • So profitieren im Ergebnis jährlich mehr als 3.000 Kinder und Jugendliche von Maßnahmen und Aktionen mit Bezug zur realen Arbeitswelt im Kreisgebiet. Auch Ausbildungsverhältnisse sind bereits unmittelbar aus den Maßnahmen entstanden.
  • Weiterhin beteiligen sich jährlich über 300 Ausbildungsbetriebe durch eine (personelle) Beteiligung an der Angebotsumsetzung, als Mitglied in Steuerungsgremien zur Angebotsgestaltung oder auch über finanzielle Beiträge oder geldwerte Leistungen.
  • Den Zugang zu den Maßnahmen ermöglichen zudem mehr als 130 Kindertagesstätten und Schulen, die sich aktiv an der Umsetzung beteiligen und durch das pädagogische Know-how die Qualität der Maßnahmen sicherstellen.

Die WFG fungiert dabei als Impulsgeber, Projektmanager sowie als vernetzende Instanz zwischen den Bildungsstätten und der regionalen Wirtschaft. Die Angebote ergänzen stets die Regelangebote der Schulen und tragen dazu bei, Kinder und Jugendliche entlang der Bildungskette mit gefragten Kompetenzen stark zu machen. Die konkrete Umsetzung basiert auf drei aufeinander aufbauenden Stufen und begleitet die angehende Nachwuchskraft im Idealfall von der Erforschung der eigenen Interessen und Begabungen, über das Kennenlernen und Ausprobieren in verschiedenen Berufsfeldern bis hin zum Ausbildungsvertrag in der Region. Die Angebote in den einzelnen Segmenten werden nachfolgend kurz skizziert:


Nachwuchsförderung entlang der Bildungskette am Beispiel der WFG für den Kreis Borken
Quelle: ©2020-zdi.NRW 

1.  Nachwuchsförderung fängt bei den Kleinsten an
In einer ersten, eher niederschwelligen Stufe der Nachwuchsförderung werden insbesondere MINT-Themen in den Fokus gestellt. Die Maßnahmen richten sich dabei explizit an Kindertagesstätten und Grundschulen und sind auf Altersgruppen von 3 bis 10 Jahren ausgerichtet. Die Angebote werden dezentral, zentral und mobil in die Region getragen.
Das „Haus der kleinen Forscher“ verfolgt dabei einen dezentralen Ansatz: Mit Fortbildungsangeboten und Materialien werden hier pädagogische Fachkräfte unterstützt, Mädchen und Jungen im Bereich der MINT-Themen zu begleiten und zu fördern. Als regionaler Umsetzungspartner dieser bundesweiten Initiative werden regelmäßig Fortbildungen für pädagogische Fach- und Lehrkräfte angeboten, in denen nähergebracht wird, wie sich Naturwissenschaft, Mathematik und Technik noch besser in den Alltag mit Kindern einbinden lassen.
Anknüpfend an das pädagogische Grundkonzept im ‚Haus der kleinen Forscher‘ ist im Jahr 2021 ein im wörtlichen Sinne physisches Forscherhaus in Kooperation mit der Stadt Stadtlohn entstanden. Die WFG hatte dabei neben anderen Projektpartnern die Aufgabe, einen öffentlichen Raum so zu konzipieren, dass dieser als zentraler MINT-Lernort für Kinder und Jugendliche aus dem Kreis Borken genutzt werden kann. Dabei haben sich zahlreiche Unternehmen aus Stadtlohn und Umgebung finanziell und inhaltlich an der Ausgestaltung der aufgebauten Forscherstationen beteiligt und so einen Bezug zur regionalen Wirtschaft hergestellt.
Mit dem Einsatz des Forschermobils wurde ein mobiles Forschungslabor geschaffen, das vielfältige Experimentiermöglichkeiten für Kinder bereithält. Dabei handelt es sich um ein speziell eingerichtetes Fahrzeug mit Experimentierequipment, das Kindergärten und Grundschulen unabhängig von der gegebenen räumlichen Lage und Ausstattung ermöglicht, ein breites Programm an MINT-Forschungsmöglichkeiten zu nutzen. Das Angebot wurde wiederum an den regionalen Bedarfen orientiert und mit Unterstützung von Kommunen und Unternehmen umgesetzt und konzipiert.  


Kinder Lernen und Entdecken im Forschermobil
Quelle: WFG 

2.  Berufe kennenlernen und ausprobieren
In einer zweiten Stufe der Nachwuchsförderung erfolgt verstärkt der Bezug zu Tätigkeiten in der regionalen Wirtschaft und konkreten Berufsfeldern. Die Maßnahmen richten sich dabei explizit an weiterführende Schulen und beginnen ab Klasse 5. Mit dem Fokus auf Handwerk und Digitalisierung wird zudem ein regionaler Schwerpunkt gesetzt:
Über Förderangebote zur vertieften Berufs- und Studienorientierung für Schülerinnen und Schüler allgemeinbildender Schulen haben Schulen im Kreis Borken durch die WFG die Möglichkeit, Fördermittel des sogenannten „zdi-BSO-MINT-Programms“ der Bundesagentur für Arbeit und des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie NRW zu beantragen. Die WFG agiert dabei als Schnittstelle zwischen Schulen, Unternehmen und Institutionen und unterstützt die Partner bei der Planung, fördertechnischen Beantragung und Realisierung der praxisnahen Workshops.
Über das mobile Angebot Handwerksmobil wird ein Branchen-Akzent im Handwerk gesetzt. Als mobile Lernwerkstatt ermöglicht das Handwerksmobil Schülerinnen und Schülern der Klassen fünf bis sieben unabhängig von den technischen und finanziellen Ressourcen ihrer Schule handwerkliche Projekte, Aktionen und Workshops zu erleben und ihre eigenen Fähigkeiten zu testen. Die Kreishandwerkerschaft unterstützt das neue Angebot und stellt über die Mitarbeit der Innungen den Berufsbezug sicher. Lehrerinnen und Lehrer aus den Schulen vor Ort arbeiten darüber hinaus an dem pädagogischen Konzept und verschaffen den Zugang zur Zielgruppe in den Bildungseinrichtungen. 
Im Kreis Borken zählt die IT-Branche schon seit vielen Jahren zu den besonders Dynamischen. Über Angebote zur „Robotik und IT“ wird daher ein weiterer Branchen- bzw. Themenschwerpunkt gesetzt. Das Angebot der WFG in Kooperation mit dem Medienkompetenzteam des Kreises Borken knüpft genau hier an und dient der Unterstützung und Initiierung von freiwilligen Arbeitsgemeinschaften in den Themenfeldern, Robotik, Digitalisierung und IT in Schulen und sonstigen Bildungseinrichtungen. Ziel der Initiative ist es, über eine technikorientierte Perspektive Fähigkeiten für das spätere Berufsleben zu entwickeln.


Berufsfelder kennenlernen und ausprobieren
Quelle: ©2020-zdi.NRW

3.  Den Berufseinstieg erleichtern
In einer weiteren, dritten Stufe der Nachwuchsförderung geht es darum, einen unmittelbaren Kontakt zwischen Nachwuchskräften und Unternehmen der Region herzustellen. So können Ausbildungswelten unmittelbar erlebbar und auch erste persönliche Kontakte geknüpft werden. Die Maßnahmen richten sich an Jugendliche ab der 8. Klasse. Ziel der Maßnahmen ist stets, den Berufseinstieg für Ausbildungssuchende zu erleichtern und Ausbildungsbetrieben eine Plattform zu geben, bei potenziellen Nachwuchskräften präsent zu sein.
Als Gemeinschaftsprojekt aller Kommunen im Kreis Borken und der WFG findet seit dem Jahr 2020 kreisweit die „Nacht der Ausbildung“ statt. Während der „Nacht der Ausbildung“ haben teilnehmende Unternehmen die Möglichkeit, sich am eigenen Standort zu präsentieren. Die beteiligten Unternehmen öffnen für alle Schülerinnen und Schüler, junge Erwachsene sowie deren Eltern und weitere Interessierte ihre Türen und informieren direkt vor Ort über das Unternehmen, deren Ausbildungsmöglichkeiten sowie Praktika.
Der Bezug zur örtlichen Hochschule mit Fokus auf das Duale Studium wird mit einem Projekt zum Dualen Studium hergestellt. Das so genannte „Duale Orientierungspraktikum Technik“ erfolgt in Kooperation mit dem Verband Münsterländischer Metallindustrieller e.V., dem Unternehmerverband und der Westfälischen Hochschule am Kreisstandort Bocholt. Über das Projekt werden technische Berufe und Karrierechancen in der Region vorgestellt und praktisch erlebbar gemacht: So erleben Schülerinnen und Schüler eine Woche Schnupperstudium an der Hochschule und eine Woche konkrete Berufspraxis im Betrieb.


Berufs- und Studienorientierung beim Dualen Orientierungspraktikum
Quelle: Unternehmerverband

Über die genannten Projekte hinaus werden anlassbezogen und in Kooperation mit weiteren Partnern Projekte zur Berufs- und Studienorientierung umgesetzt. Ein wesentlicher Baustein ist dabei stets die Vernetzung zwischen Schule und Wirtschaft vor Ort.

Das Fundament ist gegeben – die Herausforderung bleibt
Im Ergebnis werden die Besonderheiten des Kreisgebiets in der Ausgestaltung der Angebote sowie auch in den Inhalten explizit berücksichtigt. Je nach Region sind diese besonderen Merkmale sicherlich individuell zu betrachten und fließen dementsprechend auch in unterschiedlichster Form in die Ausgestaltung von Angeboten zur Nachwuchsförderung ein. Der Kreis Borken beispielsweise ist ein sehr ländlich geprägter Flächenkreis. Durch einen Mix aus zentralen, dezentralen und mobilen Angeboten zur Nachwuchsförderungen wird diesem Umstand Rechnung getragen. Auch wirtschaftliche Schwerpunkte wie eine starke Industrie, eine florierende Handwerksbrache und eine stark wachsende IT-Branche fließen durch entsprechendes Engagement und Akzente in die Angebotsgestaltung ein. Wirklich neu ist jedoch der Ansatz einer Wirtschaftsförderung schon bei den Kleinsten anzusetzen und fortlaufend bis zum Schulabschluss die Kometenzentwicklung und Berufs- und Studienorientierung zu begleiten.
Das „Wie“ der Umsetzung und auch die Ansiedlung von Maßnahmen zur Nachwuchsförderung ist in erster Linie abhängig von den individuellen Gegebenheiten vor Ort. Das „Ob“ einer Umsetzung wird hingegen mit dem fortschreitenden demografischen Wandel sowie auch mit dem dynamischen Kompetenzwandel in der Arbeitswelt vermehrt zum Hygienefaktor und entwickelt sich zunehmend zum entscheidenden Standortvorteil einer Region. Auch der Kreis Borken bleibt dabei mit allen Beteiligten stets gefordert, Nachwuchskräfte am Puls der Zeit frühzeitig abzuholen, mit den Gegebenheiten der regionalen Wirtschaft vertraut zu machen und als wertvoller Teil der Arbeitswelt in der Region zu halten.


Katharina Reinert
Quelle: WFG Borken