Öko-Effektiv: Die Besonderheiten der lippischen Kreishaussanierung

13. Januar 2022: Von Lisa Grünreich, Projektkommunikation „Lippe_Re-Klimatisiert“ beim Kreis Lippe

Papier in einer Verwaltung ist nichts ungewöhnliches, in Lippe wird es aber gerade auch verbaut. Bei der Sanierung des Kreishauses spielen Baustoffe wie Zellulose eine bedeutende Rolle. Das Konzept der Großbaustelle bietet eine optimale Verbindung aus ökologischen, nachhaltigen und funktionalen Komponenten, die es in der Region so noch nicht gibt. Dabei zeigt der Kreis Lippe, dass innovative Bauvorhaben einen Mehrwert auf verschiedenen Ebenen haben. „Mit der lippischen Klimafassade reduzieren wir unseren Energieverbrauch um über die Hälfte. Zugleich präsentiert sich das sanierte Kreishaus klimapositiv. Um diese Effekte zu erreichen, haben wir uns aber nicht den einfachsten Weg gewählt, sondern einen zukunftsweisenden. Mittelfristig muss es das Ziel sein, dass bei Bauplanungen von Anfang bis Ende die Folgen für die Umwelt berücksichtigt werden - vom originären Rohstoffverbrauch und -einsatz bis hin zu dem, was mit dem Gebäude nach der Nutzung passiert“, sagt Landrat Dr. Axel Lehmann.

Gezielte Ausschreibungen
Wie bei anderen Anschaffungen, sind Kommunen angehalten, Baumaßnahmen auszuschreiben. Seit einigen Jahren hat sich aber die Maxime, dass das kostengünstigste Angebot den Zuschlag erhält, relativiert. Das billigste Angebot ist nicht immer das „günstigste“ Angebot. Der Kreis Lippe hat bei der Kreishaussanierung daher bei den Ausschreibungen explizit darauf Wert gelegt, dass eine nachhaltige Umsetzung im Fokus steht. Diese beinhaltet sowohl die Auswahl der Baustoffe als auch die Effekte der Sanierung und die Langlebigkeit des sanierten Baus. 


Die neue Fassade des Kreishauses wird mit Zellulose gedämmt. Die Fasern werden dafür in hohle, vorgefertigte Fassadenelemente eingeblasen.
Quelle: Andreas Krukemeyer


Die neue Fassade des Kreishauses in Lippe erfüllt gleich mehrere Aufgaben: Sie gibt dem Gebäude ein modernes Erscheinungsbild, spart Energie und spiegelt eine nachhaltige Bauweise wieder.
Quelle: Andreas Krukemeyer

Nach 40 Jahren in Betrieb zeigten sich die Alterserscheinungen der Fassade deutlich. Undichte Fenster und eine veraltete Dämmungen hatten hohe Heizkosten zur Folge. Ebenso litt das Raumklima in den Büros. Eine Sanierung war unvermeidlich. Die Verwaltung und die Politik standen vor der Frage: „Alles neu oder den Bestand aufarbeiten?“. Mehrere Varianten haben die Planer des Kreises mit externen Experten durchgesprochen, geprüft und bewertet. Eine Instandsetzung der Fassade schied hinsichtlich minimaler Verbesserungen frühzeitig aus. Somit führte kein Weg an einer kompletten Sanierung vorbei. „Die Herausforderung lag in der Kombination der Ansprüche. Rund zehn Hauptkriterien galt es, miteinander zu vereinen, darunter Nachhaltigkeitsaspekte“, erklärt Projektleiter Rainer Grabbe.

Anforderungen an die Firmen
Die zuständigen Firmen für den Abbruch sowie den Fenster- und Fassadentausch mussten vertraglich zusichern, dass sie die entfernten Gebäudebestandteile geordnet entsorgen und in Kreisläufe zurückführen. „Damit etwa die alten Alufenster wirklich wie vorgegeben recycelt werden, müssen die Firmen Wiegekarten und Zertifikate vorlegen“, betont Uwe Schulte, verantwortlicher Planer beim Kreis Lippe.


Alt vs. Neu: 2.400 Fenster aus dem alten Bestand müssen weichen. Das Kreishaus durchläuft gerade das Upgrade zur Dreifachverglasung.
Quelle: Kreis Lippe


Extra dünn: Mit einem speziellen Verfahren konnten die Planer bei der Fassadenverkleidung noch einmal 30 Prozent Aluminium einsparen.
Quelle: Kreis Lippe

Möglichst viele Bestandteile der neuen Fassade sollten aus nachwachsenden Rohstoffen bestehen. So sind die Dämmelemente, die Dämmung und die Fenster aus Holz oder Zellulose. Aufgrund der Witterung erhielten die Fenster auf der Außenseite eine Aludeckschale. Die Fassadenbekleidung besteht ebenfalls aus langlebigem und selbstreinigendem Aluminium. Bei der Vergabe des Gewerks haben die Planer darauf geachtet, dass nicht nur der Preis für den Zuschlag ausschlaggebend war, sondern auch der Recyclinganteil. Die beauftragte Firma hat so bestätigt, dass mindestens 60 Prozent des Stoffes recycelt sind. Darüber hinaus ließ sich durch einen speziellen Herstellungsprozess die Materialstärke der Teile um ein Drittel reduzieren. „Mit nachhaltigen beziehungsweise recyclefähigen Baustoffen zu arbeiten, ist ein Aspekt. Auf der anderen Seite müssen wir auch ressourcenschonend denken“, so Schulte.

Richtungsweisende Baumaßnahmen
Die Kreishausfassadensanierung ist nicht das einzige Projekt der Verwaltung, bei dem eine klimaneutrale Holzbaulösung favorisiert wurde. Bereits beim Felix-Fechenbach Berufskolleg kam diese Bauweise zum Einsatz. Auch beim Neubau der Klimaerlebniswelt Oerlinghausen, einem REGIONALE 2022 Projekt, hat der Kreis Lippe bewusste Bauentscheidungen getroffen: Die Gebäude veranschaulichen – als Teil der Klimaerlebniswelt – anhand nachhaltiger Materialien und Energieerzeugung das klimaangepasste Bauen. „Die Besonderheit bei den Projekten ist die Vereinbarkeit von einer nachhaltigen Bauweise mit dem engen Spielraum, den uns die Landesbauordnung lässt. Gerade beim Kreishaus mussten wir die spezielle Anforderungen für den Brandschutz an die neue Gebäudeklasse 5 berücksichtigen. Dass uns eine Umsetzung durch die enge Zusammenarbeit mit der Genehmigungsbehörde und der Brandschutzdienststelle gelungen ist, ist wirklich ein Herausstellungsmerkmal“, freut sich Schulte. Der Einsatz von Holz und Zellulose ist also keine Selbstverständlichkeit.   


Mit Altpapier dämmen: Was sich zunächst wie eine veraltete Methode anhört, ist eine moderne Alternative für den ökologischen Hausbau.
Quelle: Andreas Krukemeyer


Die ersten Abschnitte sind bereits fertig. Bis Herbst 2022 soll das komplette Kreishaus saniert sein.
Quelle: Andreas Krukemeyer

Zukunftsweisend soll daneben auch die Katalogisierung der Stoffströme sein. Die Verwaltung möchte als erster Kreis die verbauten Materialien in seinem gesamten Gebäudebestand über das Projekt Madaster erfassen. Die Datenbank von Madaster zeigt etwa, wie viel Beton, Aluminium oder Holz verbaut sind. Das Ziel ist, kostbare und bisher ungenutzte Ressourcen aus der Baubranche in Wert zu setzen. „Bei manchen Bauweisen sind die Materialien so verbaut, dass sie nur schwierig voneinander getrennt werden können. Eine Herausforderung des Bauwesens wird es zukünftig sein, so zu konstruieren, dass wir wieder eine sortenreine Trennung gewährleisten können und Abrisse weniger Sondermüll produzieren.  Wenn dies gelingt, kann ein Großteil der Baustoffe in einem neuen Gebäude ein zweites Leben bekommen“, beschreibt Dr. Ute Röder, Verwaltungsvorstand beim Kreis Lippe, das Prinzip. Drei Kreisschulen hat das Technische Gebäudemanagement des Kreises bereits katalogisiert. Das frisch sanierte Kreishaus soll folgen. Die homogenen Baustoffe, die hier zum Einsatz kommen, sind bereits sortenrein trenn- und nahezu restlos wiederverwertbar.

Die Sanierung ist Teil der Umsetzungsstrategie „Lippe_Re-Klimatisiert“, die beim Wettbewerb „KommunalerKlimaschutz.NRW“ einen Zuschlag erhielt. Daneben umfasst das Projekt beispielsweise auch den Aufbau von Mobilitätsstationen und einem interkommunalen Fuhrpark. Die Maßnahmen führen zu jährlichen Einsparungen von 3.900 Tonnen CO2. Gefördert wird das Projekt mit rund 16 Millionen Euro durch das Land NRW mit Mitteln aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) der Europäischen Union.

Infokasten
Madaster wurde 2017 in den Niederlanden gegründet. Seit 2018 gibt es das Projekt auch in der Schweiz, in Deutschland und Norwegen ist es im Aufbau. Auf der globalen Online-Plattform können Nutzer Gebäude registrieren, einschließlich der Materialien und Produkte, die sich in ihnen befinden. Die Plattform bietet Immobilieneigentümern zudem die Möglichkeit, Daten ihrer Gebäude zu speichern, zu verwalten und auszutauschen. Dies erleichtert die Wiederverwendung, fördert intelligentes Design und eliminiert Abfall. Gebäude werden zu Rohstoffbanken. Infos unter www.madaster.de.

 
Lisa Grünreich
Quelle: Kreis Lippe