Starkregenprävention und Klimafolgenanpassung in den Kommunen

11. November 2021: Von Dr. Stefan Ostrau, MRICS, Vertreter des Deutschen Landkreistages im Lenkungsgremium der GDI-DE, und Sören Loges, Fachgebietsleiter Geoinformation und Geodatenmanagement, Kreis Lippe

Angesichts der jüngsten Starkregenereignisse in Deutschland sind die Themen Klimafolgenanpassung und Risikomanagement in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Im Kreis Lippe sind in dem Zusammenhang bereits seit 2020 zahlreiche Projekte auf den Weg gebracht worden.

Klimafolgenanpassung als politische Gestaltungsaufgabe
Die jüngsten Starkregenereignisse sowie der Green Deal als Teil der EU-Klimapolitik haben bereits ein Umdenken in der Bevölkerung und in den Kommunen bewirkt. Kernziele sind u.a. eine ressourcenschonende Stadt- und Landentwicklung sowie eine „grüne“ Mobilitäts- und Infrastruktur mit konsequenter Nutzung der Digitalisierung. Der Artikel beschreibt den Stellenwert interaktiv aufbereiteter Geoinformationen in Form von 3D-Modellen (Digitale Zwillinge) für ausgewählte Prozesse des Risikomanagements und der Nachhaltigkeit.

Risikoprävention – eine Frage der Koordinierung und Datenvernetzung
Im Zuge der Hochwasserkatastrophe ist insbesondere die unzureichende Koordinierung der Maßnahmen kritisiert und eine bessere Informationsvernetzung eingefordert worden. Aktuell diskutiert wird die Erweiterung der Kompetenzen für den Bund mit dem Ziel, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe mit weiteren Kompetenzen auszustatten. Aus praktischer Sicht stellen sich insbesondere Fragen dahingehend, wo sich Bürger/innen, aber auch Kommunen umfassend und tagesaktuell informieren und aktiv in die Risikoprävention einbringen können.
Aktuell stehen dazu in Bund, Ländern und Kommunen bereits verschiedene Medien zur Verfügung. In den Bundesländern sind beispielsweise seit längerem modulare Warnsysteme und Warn-Apps (z.B. Warn App NINA) im Einsatz. Zudem sind auf den Webseiten des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (www.warnung.bund.de) Bevölkerungsschutzwarnungen, Hochwasserinformationen, Wettervorhersagen sowie Corona-Fallzahlen dargestellt. Über das länderübergreifende Hochwasserportal (www.hochwasserzentralen.de) werden Wetterwarnungen, Niederschlagsradar sowie die Hochwassergefahren- und -risikokarten veröffentlicht. Zudem werden aktuelle Pegelstände für verschiedene Gewässer I. und II. Ordnung dargestellt. Im November 2021 wurde vom Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) eine interaktive Webkarte mit Gefahrenhinweisen zu Starkregen für das Gebiet Nordrhein-Westfalen veröffentlicht (https://www.bkg.bund.de/), die in das Geoportal des Landes NRW sowie in das Fachinformationssystem Klimaanpassung des Landesamtes für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (LANUV) integriert worden ist.


Risikoprävention - Beispiele länderübergreifender Geoportale
Quelle: Hochwasserportal.de/Geoportal.DE

Dargestellt sind hydrodynamisch modellierte Fließgeschwindigkeiten und Überflutungstiefen mit dem Hinweis, dass kleinräumige Betrachtungen auf kommunaler Ebene bevorzugt betrachtet werden sollten. Zudem ist zur Gesamteinschätzung der Überflutung eine Kombination von digitalen Starkregen- und Hochwassergefahrenkarten erforderlich. 
Insgesamt wird bereits eine Vielzahl aktueller Informationen in verschiedenen Geoportalen veröffentlicht. Diese bedürfen allerdings der digitalen Vernetzung über Internetdienste, um Aktualität und Zuverlässigkeit sowie die Ergänzung kleinräumiger kommunaler Daten (z.B. Einbindung von Daten der Bauleitplanung) sicherzustellen.

Risikoprävention – Kommunale Geodateninfrastrukturen (GDI) unverzichtbar
Im Zuge der Risikoprävention stellen sich u. a. Fragen dahingehend, wie die aktuellen Lagekartendarstellung in den unteren Katastrophenschutzbehörden verbessert werden können und welche langfristigen Auswirkungen Überflutungsszenarien auf die städtebauliche Planungs- und -genehmigungspraxis haben. Eine aktuelles Dilemma - die meisten Kommunen sind auf die Folgen des Klimawandels noch nicht ausreichend vorbereitet. Zu komplex sind die Aufgaben. Oftmals fehlt ein lokales „Drehbuch“ erforderlicher Maßnahmen und Ressourcen einschließlich des erforderliche Geodatenmanagements. Die Forderung der Lokalpolitik und Bevölkerung nach vorbeugenden Maßnahmen wird allerdings immer lauter. Die Kommunen stehen folglich unter erheblichem Handlungsdruck. Die konsquente Nutzung der Digitalisierung sowie der weitere Aufbau effizienter kommunaler Geodateninfrastrukturen (GDI) sind dabei unverzichtbar, da die kleinräumige Risikoprävention kapazitätsmäßig nicht von Seiten des Bundes und der Länder geleistet werden kann.

Risikoprävention am Beispiel der Gemeinde Kalletal (Lippe)
Starke Unwetter in 2014 und 2019 haben in den Dörfern Bentorf, Kalldorf und Lüdenhausen zu erheblichen Überflutungen geführt. Ausgehend von höher liegenden Feldern und Äckern verursachten die Wassermassen regelrechte Schlammfluten. Keller liefen voll, Schlamm sammelte sich in Vorgärten, Mulden und auf Straßen. Die örtliche Feuerwehr war im Dauereinsatz.

Feuerwehreinsätze in der Gemeinde Kalletal (Auszug).
Quelle: Facebook; @Foto Toppmöller

Bei meist lokal begrenzten Starkregenereignissen handelt es sich um kurzzeitig auftretende Niederschläge ungewöhnlich hoher Intensität mit Niederschlagsmengen von >25 l/m² pro Stunde. Deren Häufigkeit und Intensität haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen. Zudem sind auch Aussagen der Wetterdienste über räumliche und zeitliche Intensität derzeit schwer möglich.

Bereits Anfang 2020 wurde ein Modellprojekt mit dem Ziel initiiert, eine interaktive „Starkregengefahrenkarte“ für die gesamte Gemeinde Kalletal zu erarbeiten, die schrittweise auf das gesamte Kreisgebiet ausgedehnt werden soll.

Interaktive Starkregengefahrenkarte – Digitale Daseinsvorsorge in einer neuen Qualität
Starkregenprävention setzt eine hohe Verfügbarkeit von räumlichen Informationen voraus und stellt an das kommunale Geodatenmanagement als Querschnittsaufgabe erhebliche Anforderungen. Die durch die Digitalisierung hervorgebrachte Informationsflut ist zu kanalisieren und in geeigneter Weise aufzubereiten. Zielsetzung ist es, zukünftig auf außergewöhnliche Regenereignisse nicht nur zu reagieren, sondern Vorsorgemaßnahmen zu ergreifen. Hierbei ergibt sich eine Reihe von Fragestellungen und es gilt insbesondere zu bestimmen, welchen Weg das Oberflächenwasser nimmt, wo es sich sammelt und welche Bereiche besonders gefährdet sind. Zur Risikoanalyse müssen pragmatische und schnelle Lösungen her, keine langwierigen Studien und Analysen.

Durch Geodatenanalysen können mögliche Auswirkungen von Starkregenereignissen simuliert und kommunalen Akteuren bereitgestellt werden. Das Fundament des Projektes stellt eine topografische Oberflächenanalyse dar. Die Grundlage dieser Auswertung bildet die 3D-Punktwolke des Airborne Laserscannings (ALS) aus der Befliegung des Landes NRW. Das hieraus abgeleitete digitale Gelände Modell (DGM) wird zur schrittweisen Berechnung von Abflusssimulationen (Watershed-Modelle) und Wassereinzugsbereichen sowie Fließwegen und Überflutungsszenarien genutzt.

Die erzeugten Ergebnisse werden mit einer Vielzahl an Daten im Sinne einer GDI dienstebasiert vernetzt. Hierzu zählen Grundstücksdaten, Digitale Geländemodelle, 3D-Gebäude, Orthophotos, Überflutungskarten des Landes NRW (HQ-50/100), Vegetations-, Bodenerosions- und Schutzgebietsinformationen sowie Daten der Bauleitplanung. Befliegungen mittels UAV dienen dazu, die ermittelten Gefahrenstellen noch detaillierter zu bestimmen, mit den Schadensereignissen der letzten Jahre zu vergleichen sowie die eigenen Berechnungen zu verifizieren. Eingeflossen ist zudem das lokale Wissen der Bevölkerung in Form von Beobachtungen und Filmaufnahmen. Die Vernetzung der Daten erfolgt in Form eines Digitalen Zwillings, welcher in einem ersten Schritt ausgewählten Kommunen als WebSzene bereitgestellt wird. Diese Form der Bereitstellung und Präsentation der Daten lässt einen ganzheitlichen Blick auf das Starkregenszenario zu und bildet eine Grundlage für das weitere kommunale Handeln. Hier setzen dann konkrete örtliche Maßnahmen an, z.B. Vorkehrungen zum Schutz der Bevölkerung, Überflutungsschutz und -vorsorge.

Die Abbildung Interaktive Hochwasser- und Starkregengefahrenkarte veranschaulicht verschiedene Präsentationen des Digitalen Zwillings, u.a. mit den Auswirkungen in Form des 100-jährlichen Hochwassers im Bereich der Weser/Kalle sowie den kapillarförmigen Starkregenabflüssen im Bereich der höher gelegenen Ackerflächen. Veranschaulicht ist zudem die Integration von Maßnahmenplänen.


Interaktive Hochwasser- und Starkregengefahrenkarte mit gemeinsamer Darstellung von Hochwasser- und Starkregenszenarien (oben) sowie integriertem pdf-Plan - Hochwasserschutz (unten).
Quelle: Kreis Lippe 

Die Abbildung Interaktive Hochwasser- und Starkregengefahrenkarte mit Abflusssimulation veranschaulicht die Datenvernetzung mit digitaler Einbindung der Daten des BKG sowie weiteren Kommunaldaten (z.B. 3D-Gebäude sowie Bau- und Gewerbegebiete). Die unterschiedlichen Berechnungsmodelle (BKG, eigene Berechnungen) ergänzen sich gegenseitig und ermöglichen insgesamt eine bessere Lokalisierung des Starkregenabflusses.


Interaktive Hochwasser- und Starkregengefahrenkarte mit Abflusssimulation und kombinierten Geodaten des BKG sowie kommunalen Bau- und Gewerbegebieten.
Quelle: Kreis Lippe

Der nächste Schritt: Vorsorgekonzepte als gemeinsame Aufgabe aller kommunalen Akteure
Auf Basis der interaktiven Hochwasser- und Starkregengefahrenkarte sollen wirksame lokale Vorsorgekonzepte als gemeinsame Aufgabe aller kommunalen Akteure entwickelt und umgesetzt werden. Überflutungsgefährdungen spielen auch in der kommunalen Bauleitplanung eine erhebliche Rolle. Sie sind entscheidend für die nachhaltige Beurteilung von Baugebieten und Einzelbauvorhaben. Abgleiche sind hier unverzichtbar, was eine Kopplung von aktuellen Planungsdaten und interaktivem Überflutungsmodell voraussetzt. Zudem lassen sich auch Flächen- und Umweltschutzdaten integrieren. Vor diesem Hintergrund sind auch die politisch Verantwortlichen auf lokaler Ebene noch stärker als bisher über die vielseitigen Einsatzmöglichkeiten räumlicher Daten zu informieren. Das interkommunale Geodatenmanagement kann demzufolge – entsprechende Initiativen vorausgesetzt - erheblich weiterentwickelt werden.

Das Projekt Evolving Regions und der weitere Ausbau der kommunalen GDI 
Unter dem Motto  „NRW wird klimabewusst“ wurde das Projekt „EVOLVING REGIONS“ ins Leben gerufen (https://evolvingregions.com/). Es handelt sich um ein Projekt der TU Dortmund in Zusammenarbeit mit acht Partnerregionen in Nordrhein-Westfalen (u.a. Kreis Lippe) und den Niederlanden sowie fünf Partnerinstitutionen. Im Zuge des auf 4 Jahre angelegten Projektes sollen Wissenschaftler und lokale Akteure passgenaue Fahrpläne für eine nachhaltige und individuell zugeschnittene Klimavorsorge für die jeweilige Region entwickeln. Der Kreis Lippe widmet sich dabei folgenden Themenbereichen:

  • Handlungsgrundlagen für Sturm-, Starkniederschlags- und Hitzeereignisse
  • Abgestuftes Meldesystem für den Bevölkerungsschutz
  • Wasserversorgungsstrategie 2030–2050
  • Aufbau des Klimakompetenzzentrums
  • Einbindung von Projektdaten in bestehende Geodatensysteme.

Geplant ist, die erhobenen Daten und Ergebnisse des Projektes in den Digitalen Zwilling einzuarbeiten. Die zentralen Stichworte sind integrative Systeme, offene Schnittstellen und urbane Datenplattformen. Auf diese Weise lassen sich Geoinformationen mit reibungsfreiem Datenaustausch in einem 3D-Modell darstellen. Auch weitere Daten sind integrierbar, beispielsweise BIM- und Echtzeitdaten (Sensorsysteme). Die bereits in der Praxis eingesetzten 3D-Modelle sind vielversprechend, bedürfen allerdings noch der Weiterentwicklung.

Fazit
Kommunale Geodateninfrastrukturen und 3D-Modelle (Digitale Zwillinge) nehmen zukünftig eine zentrale Bedeutung ein – von der Risikokommunikation (Hochwasser, Starkregen) über die Weiterentwicklung einer ressourcen- und umweltschonenden Bauleitplanung bis hin zum Umweltmonitoring im Rahmen des Green Deals. Auf diese Weise können die Chancen der Digitalisierung genutzt werden, um Daseinsvorsorge auch für den ländlichen Raum umzusetzen.

Dr. Stefan Ostrau

Quelle: Kreis Lippe

Sören Loges