Teilhabe am Arbeitsleben von Menschen mit Behinderungen während Corona: Maßnahmen des Landschaftsverbandes Rheinland

16. August 2021: Von Prof. Dr. Angela Faber, Dezernentin Schulen, Inklusionsamt, Soziale Entschädigung, und Dirk Lewandrowski, Dezernent Soziales, Landschaftsverbandes Rheinland

Die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf dem Arbeitsmarkt sind unbestritten immens. Deren Ausmaß und Folgen lassen sich selbst heute noch nicht sicher und abschließend prognostizieren. Sicher hingegen ist, dass die Menschen, die ohnehin auf dem Arbeitsmarkt Benachteiligungen erfahren, von der Pandemie in besonderer Weise betroffen sind. In vielfacher Hinsicht trifft dies auch auf Menschen mit Behinderungen zu. Als größter Leistungsträger für Menschen mit Behinderungen in Deutschland hat der LVR daher zahlreiche Maßnahmen ergriffen, um die Möglichkeiten der Teilhabe am Arbeitsleben (TaA) für die zur sichern.

Die TaA von Menschen mit Behinderungen ist voraussetzungsvoll. Deren Zugang zum Arbeitsmarkt ist erschwert, nicht selten benötigen sie Unterstützung, um ihren Tätigkeiten nachgehen zu können. Die Unterstützung stellt sich dabei, von Person zu Person unterschiedlich dar und steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem jeweiligen Betätigungsfeld. Der LVR unterstützt schwerbehinderte und ihnen gleichgestellte Menschen nach dem dritten Teil wie auch Leistungsberechtigte der Eingliederungshilfe nach dem zweiten Teil des SGB IX.

Das LVR-Inklusionsamt ist zuständig für die berufliche Teilhabe schwerbehinderter und ihnen gleichgestellter Menschen nach dem dritten Teil des SGB IX. Es versteht sich dabei als Partner für diesen Personenkreis, dessen Interessenvertretungen wie auch der Arbeitgeber. Für seine Zielgruppen bietet es unterschiedliche Unterstützungsangebote an.

Die Fachbereiche Eingliederungshilfe stellen im vorliegenden Kontext insbesondere die TaA in Werkstätten für behinderte Menschen (WfbM) und bei Anderen Leistungsanbietern (ALA) sicher. In Zusammenarbeit mit dem LVR-Inklusionsamt besteht darüber hinaus die Zuständigkeit für das Budget für Arbeit / Budget für Ausbildung.

Viele Unterstützungsleistungen im Zuständigkeitsbereich des LVR, insbesondere persönliche Unterstützungsleistungen konnten im Zuge des Lockdowns nicht mehr oder nur auf Distanz angeboten werden. Für die WfbM wurde zeitweise sogar ein Betretungsverbot ausgesprochen. Viele Unternehmen standen vor unerwarteten finanziellen Herausforderungen und Liquiditätsengpässen. Viele Branchen sahen sich plötzlich von Kurzarbeit betroffen und von Arbeitslosigkeit bedroht. Die Auswirkungen auf die Mitarbeiter*innen in diesen Branchen – finanziell und psychosozial – sind immens; gerade auch für Menschen mit Behinderungen.

Um dem entgegenzuwirken und Beiträge zur Stärkung und dem Erhalt von Teilhabemöglichkeiten in beruflichem Kontext während der Pandemie zu leisten, hat der LVR im Rahmen seiner Möglichkeiten zahlreiche Maßnahmen umgesetzt:

  • LVR-Interne Organisation: Um seine Leistungen auch weiterhin zeitnah und verlässlich vorhalten zu können, hat der LVR innerhalb kürzester Zeit die Voraussetzungen geschaffen und digitale Lösungen gefunden, seinen Betrieb auch auf Distanz in gewohnter Verlässlichkeit aufrechtzuhalten. So konnte die Beratung weiterhin bedarfsgerecht telefonisch, per E-Mail oder Videokonferenz erfolgen, was sowohl den betroffenen Menschen als auch Betrieben Sicherheit gab.
  • Liquiditätshilfen für Inklusionsbetriebe: Viele Inklusionsbetriebe (u.a. Hotels, Restaurants, Betreiber von Schul-/Betriebskantinen) waren vom ersten Lockdown besonders betroffen. Der LVR leistete kurzfristige Liquiditätshilfen in Form von Vorschuss-Auszahlungen.
    Im letzten Quartal 2020 hat das LVR-Inklusionsamt im Rahmen des Landesprogramms „Integration unternehmen!“ eine sogenannte. Billigkeitsleistung des Landes NRW für Inklusionsbetriebe, welche durch die Corona-Pandemie besonders betroffen waren, gestaltet und umgesetzt.

Ab Januar 2021 konnten weitergehend Einrichtungen der Behindertenhilfe, Inklusionsbetriebe, Sozialkaufhäuser und Sozialunternehmen zum Ausgleich von Schäden infolge der Corona-Pandemie einen Antrag auf Liquiditätsbeihilfe aus dem Förderprogramm des Bundes, dem Corona-Teilhabe-Fonds, zur Gewährung von Billigkeitsleistungen beim LVR-Inklusionsamt stellen.

  • Integrationsfachdienste (IFD): Das LVR-Inklusionsamt hat mit Beginn der corona-bedingten Einschränkungen dafür gesorgt, dass das Beratungsangebot der IFD – trotz Schließung der Beratungsstellen – durchgängig den betroffenen Personen zur Verfügung steht.
  • Kein Abschluss ohne Anschluss – Schule trifft Arbeitswelt (KAoA-STAR): Aufgrund der wiederkehrenden und andauernden Schulschließungen seit Beginn des ersten Lockdowns war auch die Umsetzung der Standardelemente in KAoA-STAR nur erschwert möglich. Die individuelle Beratung und Begleitung der Schüler*innen, ihrer Erziehungsberechtigten, der Schulen, Arbeitgeber und weiteren Kooperationspartnern konnte vielfach auch schnell auf anderen, meist digitalen Wegen erfolgen.
  • Begleitende Hilfen: Um den Arbeitgebern und schwerbehinderten Menschen so viel Sicherheit wie möglich zu geben, liefen alle bestehenden Einzelfallleistungen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben mit Beginn der Pandemie weiter und Anträgen auf Weiterbewilligung, zum Beispiel im Bereich der Arbeitsassistenz oder den außergewöhnlichen Belastungen, wurde grundsätzlich nach einer Plausibilitätsprüfung nach Aktenlage für zunächst 12 Monate entsprochen. Bei Neuanträgen wurde eine summarische Prüfung ohne Beteiligung des Technischen Beratungsdienstes bzw. IFD vorgenommen. Die Bescheide wurden auf ein Jahr befristet.
  • Kündigungsschutz: Im Bereich des Kündigungsschutzes wurde - soweit möglich - zu Beginn der Pandemie nach Aktenlage entschieden. Im Rahmen von Lockerungen konnten im Jahresverlauf die Aufklärungen und Verhandlungen unter Einhaltung strenger Abstands- und Hygieneregelungen wieder stattfinden.
  • Seminare: Als Alternative zu den während des Lockdowns zwangsläufig abgesagten Kursen im Präsenzformat für die betrieblichen Funktionsträger*innen organisierte das LVR-Inklusionsamt zahlreiche Online-Seminare, wie zum Beispiel einen Crash-Kurs für Schwerbehindertenvertretungen oder monatlich stattfindende Online- Sprechstunden zum betrieblichen Eingliederungsmanagement. Zusätzlich wurden zu verschiedenen Themen, wie dem Kündigungsschutz oder der Arbeitsassistenz, Webinare auf die Homepage gestellt.
  • Technischer Beratungsdienst: Der technische Beratungsdienst des LVR-Inklusionsamtes stellte die Beratungen der Arbeitgebenden und schwerbehinderten Arbeitnehmenden auf Telefon- und E-Mail-Beratung um. Soweit wie möglich wurden die Arbeitsbedingungen mit Hilfe von Fotos, Beschreibungen und Videos beurteilt. Nach Einführung von Videokonferenztools konnten Beratungen auch anhand von Videokonferenzen durchgeführt werden.
  • Die WfbM waren durch ein zunächst ausgesprochenes Betretungsverbot, das nur eine Notbetreuung in der WfbM erlaubte, betroffen. Die WfbM haben daraufhin ein Teilhabeangebot auch in der häuslichen Umgebung der Beschäftigten entwickelt und sichergestellt. Zentrale Prämisse des LVR war und ist es hierbei weiterhin, den Gesundheitsschutz der Beschäftigten sicher zu stellen und zugleich bestmöglich den Anspruch der Menschen mit Behinderungen auf Leistungen zur TaA zu erfüllen. Diesem Gedanken folgend wurden die Leistungsentgelte an die WfbM in unveränderter Höhe bei Wandlung des Leistungsgeschehens fortgezahlt, so dass auch alternative Teilhabesettings durch den LVR ermöglicht wurden.

So wurde u.a. für die Beschäftigten, die aus subjektiven Ängsten noch keine Teilhabe in den Räumlichkeiten der WfbM wünschten oder für die eine Teilhabemöglichkeiten dort zum damaligen Zeitpunkt noch nicht möglich erschien, die Betreuung durch die Fachkräfte der WfbM sowohl in der eigenen Wohnung als auch in der besonderen Wohnform ermöglicht. Flankierend zur schrittweisen Öffnung der WfbM wurden im Bereich der Fahrdienste im Hinblick auf die Erforderlichkeiten des Gesundheitsschutzes entsprechende Anpassungen der Organisation (beispielsweise auch Einzelfahrten) vorgenommen.
Alle Maßnahmen wurden eng abgestimmt mit dem zuständigen Verordnungsgeber, der LAG WfbM sowie der LAG der Werkstatträte; dies sicherte eine einheitliche Kommunikation aller Beteiligten. Dabei wurden auch Fragen der Beschäftigten nach Auswirkungen z.B. auf Urlaubsansprüche und Arbeitsentgelte zeitnah beantwortet.
Deutlich wurde in dieser Zeit die Bedeutung der TaA für die dort Beschäftigten; bestimmend in der Kommunikation war seit Mai 2020 die vielfach geäußerte Angst vor einem erneuten Betretungsverbot und damit dem Wegfall einer haltgebenden Tagesstruktur in diesen Zeiten.
Auch aus diesem Gedanken heraus wurde in Umsetzung der Impfpriorisierung im März 2021 allen Werkstattbeschäftigten und -mitarbeitenden ein flächendeckendes Impfangebot in den WfbM vor Ort unterbreitet; inzwischen liegt der Durchimpfungsgrad bei über 90%; Infektionen beschränken sich auf absolute Einzelfälle. Vor diesem Hintergrund wird mit den WfbM / Werkstatträten individuell die Rückkehr in einen Regelbetrieb abgestimmt.

  • Werkstattentgelte: Auch die WfbM waren in einzelnen Aufgabengebieten von Umsatzeinbußen betroffen. Schon frühzeitig hat die LAG WfbM in NRW ihre Mitglieder aufgefordert, dennoch das Werkstattentgelt an die Beschäftigten in unveränderter Höhe weiterzuleisten. Diese Haltung wurde durch den Bund ausdrücklich unterstützt, indem für 2020 die Schwerbehindertenausgleichs-abgabeverordnung dahingehend geändert wurde, dass die Integrations-/Inklusionsämter nur die Hälfte der gesetzlich vorgesehenen 20 Prozent des Aufkommens an Ausgleichsabgabe an den Ausgleichsfonds beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) weiterleiten mussten. Die den Inklusions-/Integrationsämtern hierdurch in diesem Jahr zusätzlich zur Verfügung stehenden Mittel in Höhe von 58,3 Mio. Euro sollen für Leistungen an WfbM und an Andere Leistungsanbieter (ALA) im Sinne des § 60 SGB IX zur Kompensation der aufgrund der COVID-19-Pandemie gesunkenen Arbeitsergebnisse, aus denen die Arbeitsentgelte der dort beschäftigten Menschen mit Behinderung finanziert werden, verwandt werden. Zur einheitlichen Umsetzung der Regelung in NRW haben die Fachbereiche Eingliederungshilfe und das LVR-Inklusionsamt in Abstimmung mit dem Landschaftsverband Westfalen Lippe ein Eckpunktepapier sowie einen Antragsvordruck erarbeitet. Innerhalb kürzester Zeit vereinbarte der LVR dezernatsübergreifend die Abwicklung der Mittel der Ausgleichsabgabe an die WfbM zur Stärkung der Arbeitsentgelte.
  • Coronabedingter Mehraufwand: Das Land NRW hat den Landschaftsverbänden im Rahmen einer Billigkeitszuweisung Mittel zur Verfügung gestellt, die zur Refinanzierung der bei den Leistungserbringern durch die Corona-Verordnungen des Landes entstehenden Mehraufwendungen für Schutz- und Hygienemaßnahmen dienen sollen. Im Bereich der WfbM zählen hierzu neben Schutzmasken und Desinfektionsmaterialien insbesondere Maßnahmen zur Einhaltung der Abstandsregelungen sowie Sonderfahrten im Bereich der Zubringerdienste.
  • Andere Leistungsanbieter: Aktuell hat der LVR mit fünf ALA Leistungs- sowie Vergütungsvereinbarungen geschlossen, für die die zuvor dargestellten Regelungen für die WfbM analog gelten.
  • Budget für Arbeit: Bei dieser Beschäftigung in Betrieben des allg., Arbeitsmarktes zeigte sich deutlich die Abhängigkeit von der jeweiligen Branche. Konnte Mitarbeitenden i.d.R. über den Bezug von Kurzarbeitergeld der Arbeitsplatz erhalten werden, galt dies nicht für Beschäftigte im Budget für Arbeit. Zum Ausgleich des für diesen Personenkreis nicht gegebenen Anspruchs auf Kurzarbeitergeld hat sich der LVR entschieden, auch die Leistungen im Budget für Arbeit in unveränderter Höhe weiter zu finanzieren, um den Erhalt des Arbeitsplatzes sicherzustellen.

Alle getroffenen Maßnahmen wurden – neben entsprechenden Rundschreiben – auch zeitnah über den Internetauftritt des LVR kommuniziert, um eine zügige und einheitliche Information zu gewährleisten.

In der Zusammenschau all dieser Maßnahmen zeigt sich der LVR zur Sicherung und Stärkung der Teilhabemöglichkeiten für Menschen mit Behinderungen gut aufgestellt. Die Rückmeldungen aus der Praxis weisen darauf hin, dass der LVR während der Pandemie als verlässlicher Partner wahrgenommen wurde. In allen Verantwortungsbereichen wurden Lösungen gefunden, um die Unterstützung für Menschen mit Behinderungen, deren Arbeitgeber sowie die verschiedenen Dienstleister zu gewährleisten. Der weitere Verlauf der Pandemie sowie deren Auswirkungen ist nach wie vor ungewiss. Gewiss ist jedoch, dass der LVR auch weiterhin der verlässliche Partner bleiben wird.

Prof. Dr. Angela Faber
Quelle: LVR

Dirk Lewandrowski