„Wir im Vest“- Vielfalt leben durch interkulturelle Öffnung Konzept für Diversität und Teilhabe im Kreis Recklinghausen

12. Januar 2023: Von Claus Wiesenthal, Leiter des Kommunalen Integrationszentrums, und Claudia Kliem, Leitung des Ressorts „KI und Projekte“, Kreis Recklinghausen

Genauso vielfältig wie die Bevölkerungsstruktur im Kreis Recklinghausen ist auch seine Integrationslandschaft. Das Kommunale Integrationszentrum hat in diesem Jahr in Zusammenarbeit mit einem Sozialforschungsinstitut ein neues Integrationskonzept erarbeitet, welches der großen Heterogenität des Kreises gerecht werden soll. Erstmals wird hier der Integrationsbegriff neu definiert und die vielfältige Integrationsarbeit aller zehn kreisangehörigen Kommunen in einem Fundus an Beispielen guter Praxis sowie konkreter Handlungsempfehlungen gebündelt. Eine Herausforderung, die einer guten Strategie und mehrerer Handlungsschritte bedurfte.

Der Kreis Recklinghausen wurde durch Zuwanderung geprägt. Menschen vieler Kulturen mit aktuell 160 unterschiedlichen Nationalitäten leben im Kreis Recklinghausen zusammen. Dementsprechend Vielfältig zeigt sich auch die Integrationslandschaft im Kreisgebiet.

Das Integrationskonzept des Kreises soll dieser Heterogenität gerecht werden. Eine einfache und schnelle Sache? Keineswegs, denn das Integrationskonzept des Kreises möchte keine Parallelstrukturen zu den Ansätzen, Maßnahmen und Konzepten der zehn Kreisstädte schaffen. Denn: Viele der kreisangehörigen Kommunen haben bereits ein eigenes Integrationskonzept. Das Konzept des Kreises versteht sich daher vielmehr als Handreichung mit Empfehlungen unter Berücksichtigung der kreisweiten Situation. Es ist eine „Dachkonstruktion“ für die vielfältige Integrationsarbeit im gesamten Kreisgebiet.

Darüber hinaus soll das Konzept die Strukturen in einem Kreis mit seinen Meta- und operativen Ebenen berücksichtigen. Eine besondere Herausforderung, die das Kommunale Integrationszentrum (KI) Kreis Recklinghausen zusammen mit vielen Akteuren bewältigt hat.

Das KI ist bei der Kreisverwaltung im Fachbereich Soziales angesiedelt. Das Thema Integration von Menschen mit Zuwanderungsgeschichte gehört seit dem Jahr 2013 zum Aufgabenschwerpunkt. Neben den großen Handlungsfeldern Bildung und Integration als Querschnittsaufgabe arbeitet es eng mit Integrationsprojekten wie dem EU-Programm ,,EhAP Plus“ und den Landesprogrammen ,,Südosteuropa“, ,,Durchstarten in Ausbildung und Arbeit“ sowie „Guter Lebensabend NRW- Kultursensible Altenhilfe und Altenpflege“ zusammen.

Die Integrationsarbeit in den zehn kreisangehörigen Kommunen findet sowohl auf der Metaebene, z.B. mit der Umsetzung von Projekten, als auch auf der operativen Ebene wie beispielsweise den vielfältigen Beratungs- und Begleitstrukturen vor Ort statt.

Ergänzt werden die Maßnahmen des KI seit 2021 durch das Kommunale Integrationsmanagement (KIM), das sich als Bindeglied zwischen der Verwaltungsstruktur, den Maßnahmen der Integrationslandschaft und den Menschen mit Flucht- und Zuwanderungsgeschichte versteht. KI und KIM arbeiten in einem Fachdienst eng zusammen, um durch die operative Ebene des KIM und die Handlungsfelder des KI Integrationsprozesse zielgerichtet zu unterstützen.

Auf Grundlage der bisherigen Konzepte – das letzte stammt aus 2013 und wurde für die Jahre 2016/17 fortgeschrieben – hat das KI in den letzten anderthalb Jahren in Zusammenarbeit mit einem Sozialforschungsinstitut ein neues Integrationskonzept erarbeitet. Bezogen sich die bisherigen Konzepte eher auf die strategische und operative Gestaltung der integrativen Maßnahmen im Kreis, sollte sich nun die Neuauflage des Integrationskonzeptes auf einen breiteren Kreis von Personengruppen beziehen.

Erstmals wird in dem neuen Konzept der Integrationsbegriff neu definiert und die vielfältige Integrationsarbeit aller zehn Kommunen in einem Fundus an Beispielen guter Praxis sowie konkreter Handlungsempfehlungen gebündelt. Zielgruppe des Konzeptes waren erstmals Schutzsuchende, Menschen mit Zuwanderungsgeschichte und die Aufnahmegesellschaft.

Die Herausforderung war, alle drei Zielgruppen im gesamten Kreisgebiet in den Prozess der Erstellung des Konzeptes einzubeziehen. Dies bedurfte einer guten Strategie und mehrerer Handlungsschritte, um sich der Komplexität der Integrationslandschaft im Kreis angemessen und gezielt zu nähern. Die Erstellung des Konzeptes gliederte sich in fünf Hauptphasen: Planung, Entwicklung, Erhebung, Umsetzung und Abschluss.


Prozessablauf des Integrationskonzepts.
Quelle: Kreis Recklinghausen

Planungsphase
Zu Beginn des Prozesses wurde der Umfang und die Ausrichtung des neuen Konzeptes festgelegt. Gemessen an dem bisherigen Integrationskonzept aus 2013 und seiner Weiterentwicklung musste ein Produkt definiert werden, welches der aktuellen Situation gerecht wird. Schnellwurde deutlich, dass ein in seiner Komplexität angemessenes Konzept nur in Zusammenarbeit mit einem Sozialforschungsinstitut erstellbar wäre.

Außerdem wurde eine Steuerungsgruppe initiiert, um zentrale Akteure aus den kommunalen Strukturen im Gesamtprozesses einzubinden. Bei der Teilnehmergewinnung stand vor allem die fachliche Expertise im Vordergrund. Die Rolle der Steuerungsgruppenmitglieder war mit einer doppelten Multiplikatoren-Funktion verbunden, denn hierdurch wurde die Kommunikation aus den Kreisstädten in die Steuerungsgruppe und zurück sichergestellt. Um dieses strategische Element angemessen zu installieren, hat das KI alle Bürgermeisterinnen und Bürgermeister darum gebeten, Integrationsbeauftragten oder Personen in ähnlicher Funktion zu benennen. Zudem wurden seitens der Kreisverwaltung auch interne, am Prozess beteiligte Fachbereiche wie Bildung und Gesundheit einbezogen. Im Rahmen der Erstellung des Integrationskonzeptes sollten darüber hinaus Indikatoren für ein kreisweites Monitoring entstehen, welches das KI und die Kommunen in der Integrationsarbeit nutzen können.

 

Beteiligungsebenen am Integrationskonzept.
Quelle: Kreis Recklinghausen

Entwicklungsphase
Das Sozialforschungsinstitut wurde im April 2021 beauftragt. Die Zeitschiene und Meilensteine wurden im Prozess festgelegt sowie konkrete Ziele entwickelt. Die Steuerungsgruppe hat Handlungsfelder bestimmt und Zielgruppen definiert. Die Zielvorstellung war, das Konzept innerhalb eines Jahres mit all seinen Facetten zu erstellen. Dieses Ziel war auf Grund der vielen Akteure und der Heterogenität des Kreises von Anfang an sehr ambitioniert und bedeutete eine stringente Umsetzung der Planung. 

Erhebungsphase
Um sich einen Gesamtüberblick über die Integrationsarbeit im Kreis zu verschaffen, wurden sowohl quantitative als auch qualitative Befragungen angesetzt. Was leisten der Kreis und das KI bereits für die Kommunen? Welche Schwerpunkte werden in den Kommunen vor Ort gesetzt? Was fehlt aus Sicht der Expertise? Welche Unterstützung können hierbei Kreis und KI geben? Welche Netzwerke existieren? Eruiert wurde dies über 37 Interviews mit Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern, allen Integrationsbeauftragten sowie Sozialdezernentinnen und Sozialdezernenten. Zudem wurden gezielt Fachleute aus anderen Fachbereichen hinzugezogen, z.B. der Schulaufsicht und der Ausländerbehörde. Flankiert wurde dieses Format durch eine Onlinebefragung. Der Fragebogen ging an über 1000 Akteure sowie Institutionen im gesamten Kreis, die sich mittel- oder unmittelbar mit dem Thema „Integration“ und Zusammenleben befassen. Aufgrund der Coronapandemie setzte das KI weitgehend auf Onlineformate.

Umsetzungsphase
Aus den gewonnenen Erkenntnissen der Beteiligungsformate wurden im nächsten Schritt Handlungsfelder abgeleitet und definiert, die in Workshops weiterbearbeitet wurden. So ergab sich ein erstes inhaltliches Gerüst des Konzepts, das in Handlungsfeldern fixiert wurde.
Die Handlungsfelder lauten: Zusammenleben und Teilhabe, Engagierte Bürgerinnen und Bürger, Wirtschaft und Arbeitsmarkt, Bildung und Sprache, Wohnen und Mobilität, Gesundheit und Sport sowie Institution und Professionalisierung.  

Das letzte Handlungsfeld wurde ausschließlich in der Steuerungsgruppe bearbeitet, um die Expertise der Mitglieder gezielt zu nutzen. Zu jedem Handlungsfeld fanden jeweils zwei Workshops statt, die im ganzen Kreis beworben und durch Akteure unterschiedlicher Professionen und Institutionen besucht wurden. Die Workshop-Phase war durch zwei grundsätzliche inhaltliche Schritte geprägt: Im ersten Schritt stand das Sammeln und Definieren der zentralen und notwendigen Maßnahmen in den o.g. Handlungsfeldern im Fokus, im zweiten Schritt wurden diese Maßnahmen priorisiert und strategische Hinweise zur Umsetzung und zentrale Stakeholder benannt.

Umrahmt wurde die Workshop-Phase von fünf Fachtagen, zu denen Fachreferentinnen und Referenten engagiert wurden. Die Fachtage bot das KI jeweils samstags an, um vor allem Ehrenamtlichen im Kreis Recklinghausen die Möglichkeit zu Teilnahme zu bieten. Intensiv diskutierten die Teilnehmer zur Definition des Begriffs „Integration“.

Mithilfe der Ergebnisse der Erhebungs- sowie der Umsetzungsphase wurden Leitlinien und Handlungsempfehlungen für die künftige integrative Gestaltung des Zusammenlebens im Kreis Recklinghausen formuliert.

Abschlussphase
Nach Erstellung des Konzepts folgten zahlreiche Beteiligungsprozesse bis hin zur politischen Beschlussfassung. So hatten beispielsweise die Vorsitzenden der Integrationsräte der kreisangehörigen Städte die Möglichkeit, ihre Sichtweisen in das Konzept einzubringen. Nach einer Abstimmung mit den Sozialdezernentinnen und Sozialdezernenten der kreisangehörigen Städte hat der Kreistag das Integrationskonzept am 19. September 2022 verabschiedet.

Vorstellung des Konzepts im Rahmen der Jahresfachtags des KI im Herbst 2022.
Quelle: Kreis Recklinghausen

Nach der politischen Beschlussfassung wurde das Konzept der Öffentlichkeit wenige Tage später am Jahresfachtag des KI vorgestellt. Mehr als 100 ehren- und hauptamtlich Tätige der Integrationsarbeit nahmen daran teil. Im Fokus stand vor allem die Frage, welche Herausforderungen mit einer ganzheitlichen interkulturellen Öffnung der Gesellschaft verbunden sind. Dazu erhielt das Plenum einen Fachimpuls von Herrn Dr. Terkessidis. Abgerundet wurde der Fachtag mit Workshops und einem Markt der Möglichkeiten, an dem zahlreiche Akteure der Integrationslandschaft präsentierten und ihr Netzwerk ausbauen konnten.

Implementierung des Konzeptes
Wie es nun weitergeht: Die Beteiligungsstruktur wurde in diesem Prozess bewusst breit gewählt, da allen die Möglichkeit offenstehen sollte, das Konzept als Handlungsleitfaden vor Ort umzusetzen und die eigene Arbeit zu optimieren. Das KI wird das Konzept als „Working Paper“ nutzen, um die eigenen Handlungsfelder und Maßnahmen gezielt mit einzelnen Akteuren fortzuschreiben. Beispielsweise wird derzeit in Kooperation mit dem Kreissportbund eine Handreichung für alle Sport- und Stützpunktvereine des Kreises Recklinghausen erarbeitet, die die Inhalte des Handlungsfeldes Gesundheit und Sport weiter spezifiziert.

Mit dem neuen Integrationskonzept ist ein Werkzeugkasten an Maßnahmen zusammengestellt worden, der den heterogenen Voraussetzungen der zehn Kreisstädte gerecht wird. Ergänzt wird das Konzept durch die folgenden strategischen Schwerpunktziele, die das KI in den kommenden zwei Jahren fokussieren wird: Im Bildungsbereich „Interkulturalität als Chance einer zukunftsorientierten Bildungslandschaft – Gezielte Stärkung von Chancengerechtigkeit entlang einer diversitätsbewussten Bildungskette in Hinblick auf die Begleitung gesamtgesellschaftlicher Herausforderungen“ und im Querschnitt das Ziel „Vom Ehrenamt zur Migrantenselbstorganisation – Teilhabe stärken durch bürgerschaftliches Engagement in einer diversitätsbewussten Gesellschaft“.

Netzwerkarbeit ist ein wichtiger Bestandteil der täglichen Arbeit des KIs. Das wird es auch zukünftig sein, denn die Ergebnisse aus der Erhebungsphase zeigen, dass die Vernetzung mit zentralen Akteuren der kreisweiten und kommunalen Integrationsarbeit wichtig ist und weiter ausgebaut werden sollte. Darum wird auch weiterhin ein regelmäßiger Austausch mit den Integrationsagenturen, den Integrationsratsvorsitzenden und den Integrationsbeauftragten auf Kreisebene angestrebt. Zudem finden regelmäßig Austauschtreffen mit weiteren Mitwirkenden wie z.B. den Beteiligten der Programme Griffbereit, Rucksack, der Seiteneinsteigerberatung und den Ehrenamtlichen auf Kreisebene statt. Bedarfsorientiert werden weitere kommunale Akteure der Integrationsarbeit einbezogen.

Ausblick
Gesellschaftliche Gegebenheiten ändern sich und werden durch Krisensituationen und andere Herausforderungen kontinuierlich beeinflusst. Infolgedessen müssen Strategien und Maßnahmenansätze angepasst werden. Aus diesem Grund wird es weiterhin erforderlich sein, das Integrationskonzept des Kreises fortzuschreiben. So wie die Erstellung des Konzepts bleibt auch die Fortschreibung eine Gemeinschaftsaufgabe. Alle, die sich für das Zusammenleben im Kreis Recklinghausen engagieren, sind eingeladen, weiterhin mitzuwirken.

Das Integrationskonzept des Kreises Recklinghausen gibt es auf der Internetseite unter www.kreis-re.de/ki.

Claus Wiesenthal

Quelle Kreis Recklinghausen

Claudia Kliem