Zukunft ohne Glaskugel - Wie angehende Fachkräfte im sozialen Bereich kompetent für die Anforderungen von morgen werden

30. März 2023: Von Christoph Mansel, Studienrat am Berufskolleg Bergheim (Berufskolleg für Sozial- und Gesundheitswesen, Ernährung und Versorgungsmanagement, Körperpflege), Rhein-Erft-Kreis

„Kinder kriegen die Leute immer“ – ist ein bekanntes, dem ehemaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer zugeschriebenes Diktum aus den 1950er Jahren. Und tatsächlich: Angesichts der Geburtenzahlen im beginnenden Wirtschaftswunder drängte sich dieser Eindruck vielleicht sogar auf. Heute haben wir lernen müssen, dass Adenauers Blick in die Glaskugel etwas eingetrübt war. Die Babyboomer, auf die er sich bezog, gehen in Rente und sie hinterlassen große Lücken auf dem Arbeitsmarkt. Vor diesem gesellschaftlichen Hintergrund beleuchtet der folgende Text, wie das Berufskolleg Bergheim seinen Beitrag zur Bewältigung dieser Entwicklung leistet.

Zunächst ist festzuhalten, dass die fehlenden Arbeits- bzw. Fachkräfte zum Großteil einfach deshalb fehlen, weil sie nie geboren wurden. Hier kann das Berufskolleg keine Wunder vollbringen. An der generellen Tendenz, dass mit zunehmendem Pro-Kopf-Einkommen und Bildungsstand die Geburtenraten sinken, ist nicht zu rütteln.
Zugleich gilt aber nach wie vor, dass längst nicht alle am Ende ihrer Schullaufbahn einen Abschluss erhalten[1]. Und hier ist das Berufskolleg als Schulform schon stärker involviert. So wird schon heute knapp ein Drittel aller allgemeinbildenden Abschlüsse am Berufskolleg erworben[2], in vielen Fällen, nachdem zunächst an einer anderen Schulform kein Bildungserfolg erzielt werden konnte. Gerade das Angebot, schulische Wissensvermittlung mit beruflichen Erfahrungen zu verknüpfen, verleiht dem Berufskolleg sein spezifisches Profil – und ermöglicht es, Schülerinnen und Schüler zu erreichen, die genau diese Form der Ansprache auf ihrem individuellen Bildungsweg voranbringt. Der Fokus liegt dabei ausdrücklich auf der fachlich fundierten Bewältigung beruflicher Handlungssituationen.

Kompetenzen und ihre überfachliche Ausschärfung

Teil der Kompetenzentwicklung am Berufskolleg Bergheim: Eigene Arbeitsergebnisse veröffentlichen und vertreten.
Quelle: Mansel

Dabei bewältigen Absolventinnen und Absolventen des Berufskollegs nicht allein aktuelle Herausforderungen, sondern sollen auch in die Lage versetzt werden, in einer sich wandelnden Gesellschaft und Erwerbslandschaft handlungsfähig zu bleiben. Der Großteil ihres Erwerbslebens wartet nach dem Abschluss, wenngleich das Berufskolleg auch in der Weiterbildung Angebote macht, um das berufliche Profil individuell aus zu schärfen.
Vor diesem Hintergrund ist es eine zentrale Aufgabe und Herausforderung des Berufskollegs, den Absolventinnen und Absolventen Kompetenzen an die Hand zu geben, die selbsttragend sind. Die Zukunft zeichnet sich wenn überhaupt nur unklar ab - wer das Berufskolleg als Absolventin oder Absolvent verlässt, braucht Fähigkeiten, auf die er oder sie auch weiterhin zurückgreifen kann.

Wie aber ist ein Unterricht anzulegen, der in diesem Sinne fruchtbar ist?
Als Beispiel sei der Bereich der überfachlichen Kompetenzen herausgegriffen, denen sich das Berufskolleg Bergheim seit einigen Jahren besonders intensiv widmet. Der Begriff verrät bereits, dass hier weniger fachspezifische Aspekte zentral sind, als vielmehr der Erwerb von Kompetenzen, die über die entsprechenden Lerngegenstände hinausgehen. Damit wird den oben genannten Aspekten Rechnung getragen: Wenngleich eine fundierte fachliche Qualifikation die Basis für die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz darstellt, ist doch ein flankierender Blick stets auf die Unwägbarkeiten zukünftiger Herausforderungen gerichtet.

Digitale Kompetenzen

Multifunktionsflächen am Berufskolleg Bergheim geben Raum für selbst gesteuertes Lernen.
Quelle: Berufskolleg Bergheim

Exemplarisch zeigt sich dies im Bereich der digitalen Kompetenzen. Dabei geht es weniger darum, den Schülerinnen und Schülern ein bestimmtes Softwareprodukt als solches zu erklären, nach dem Motto „Wenn ich da drücke, passiert das“. Marktführerschaften ändern sich, Betriebssysteme ebenfalls. Aber wer, so die Idee, einmal den Umgang mit Software erfahren hat, wer die anfänglich wahrgenommene Inkompetenz auf strukturierte Weise überwunden hat, der oder die wird genau diese Kompetenz mitnehmen. Zentral ist dabei die Verbindung von veränderten Arbeitsmitteln und didaktischen Arrangements. So gibt es beispielsweise in verschiedenen Bildungsgängen am Berufskolleg Bergheim so genannte „Tablet-Klassen“. Dort wird, wie der Name schon sagt, in weiten Teilen unter Verzicht auf gedruckte Arbeitsmaterialien unterrichtet. Die Schülerinnen und Schüler oder Studierenden lernen Techniken der digitalen Ablage und Büroorganisation ebenso kennen wie die eigenständige Recherche im Internet. Sie erfahren etwas über ihre eigene Arbeitsweise und können ihre Lernwege in den Blick nehmen. Und wenn sie sich dann dafür aussprechen, doch einmal mit einer analogen Kopie zu arbeiten, dann vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit den genannten neuen Lernmitteln. Der Rückgriff auf Bewährtes erhält dann den Charakter einer bewussten Entscheidung, die auch reflektiert und deren Vor- und Nachteile präsent sind.
Auf diese Weise bringen die Absolventinnen und Absolventen des Berufskollegs Bergheim aber nicht nur selbstbezogene Kompetenzen für den Arbeitsmarkt der Zukunft mit. Auch die Fähigkeit, betriebliche Prozesse zu gestalten, geht damit einher.

Beispiel: Tageseinrichtungen für Kinder
Nehmen wir als Beispiel den Bereich der Tageseinrichtungen für Kinder – für den das Berufskolleg Bergheim im Übrigen auf verschiedene Weise qualifiziert: Erzieherausbildung plus Abitur, in Vollzeit oder „praxisintegiert“ (also im Stile einer dualen Berufsausbildung): Wenn der Träger vorgibt, dass die Bildungsdokumentation zukünftig digital zu erfolgen habe, können die erworbenen Kompetenzen zur konkreten Ausgestaltung genutzt werden. Das umfasst dann eben nicht nur die Nutzung des Tablets als „Fotoapparat 2.0“, sondern auch Fragen etwa nach Möglichkeiten und Grenzen kindlicher Partizipation oder der Verfügbarmachung entsprechender Dokumente im Kontext von Datenschutz.
Ein stärkerer inhaltlicher Zugriff würde vielleicht den Bereich der so genannten „Mint“-Berufe betonen, also naturwissenschaftlich-technische Qualifikationen, welche der Forschungs- und Entwicklungsstandort Deutschland insgesamt, aber auch Industrie und Mittelstand im Rhein-Erft-Kreis dringend bedürfen. Beim Blick auf das Angebot an Ausbildungen und Abschlüssen, die das BK Bergheim anbietet, scheint dieser Bereich zunächst ausbaufähig. Sieht man aber genauer hin, dann werden hier angehende frühpädagogische Fachkräfte gerade dafür qualifiziert, bei Kindern spielerisch Freude am Experimentieren und Entdecken der Natur zu wecken – und damit eine spätere „Mint“-Karriere anzubahnen. Die Teilnahme am so genannten „LuPe“-Projekt – als eines von sieben Berufskollegs in ganz NRW – dokumentiert diesen nachhaltigen Schwerpunkt am BK Bergheim[3].
Zentral ist bei all dem die mit dem Unterricht verbundene Selbstwirksamkeitserfahrung der Schülerinnen und Schüler und Studierenden. Die Erfahrung, mit eigenem Handeln etwas zu bewirken und zu verändern, eröffnet nicht nur Gestaltungsspielräume heute und in Zukunft. Sie ist auch ein wichtiger Schutzfaktor für stressbedingte Erkrankungen, die schon heute zu hohen Krankenständen führen[4].
Der innere Kompass, den das Berufskolleg seinen Absolventinnen und Absolventen mit auf den Weg gibt, kann es mit jeder Glaskugel aufnehmen und wirkt damit im besten Sinne nachhaltig.


Christoph Mansel
Quelle: Foto Meyerhenke

[1] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/themen/aktuelle-meldungen/2023/maerz/anteil-der-jugendlichen-ohne-schulabschluss-seit-zehn-jahren-auf-hohem-niveau
[2]https://www.schulministerium.nrw/system/files/media/document/file/rolle_berufskolleg_bildungssystem_nrw_220524.pdf, S. 22
[3] https://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bibs2020/LuPE_Broschuere_KORR.pdf
[4] Vgl. Lampert et al (2021): Detached Concern und Wohlbefinden: berufliche Selbstwirksamkeit und Sinnerfüllung als vermittelnde psychische Ressourcen. In: Prävention und Gesundheitsförderung 16, S. 179–187