Arbeitsmarkt zusammen zukunftsfest gestalten

19. August 2021: Von Torsten Withake, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion NRW der BA

Der Arbeitsmarkt in NRW steht im Zeichen der Erholung von den Auswirkungen der Corona-Pandemie. Jetzt ist die Zeit, ihn zukunftsfest zu gestalten. Aus- und Weiterbildung, aber auch die Reduzierung der Langzeitarbeitslosigkeit sind zentrale Aufgaben.

Als ich vor wenigen Wochen zugesagt habe, etwas zu den Folgen der Corona-Pandemie am Arbeitsmarkt in Nordrhein-Westfalen zu schreiben und auch einen Ausblick auf die weiteren Herausforderungen aus der Sicht der Bundesagentur für Arbeit zu geben, war für uns alle eine Flutkatastrophe unvorstellbar, wie sie dann kurze Zeit später in einigen Teilen unseres Landes eintraf.

Viele Menschen haben durch die Unwetter großes Leid erlitten. Jobcenter und Agenturen für Arbeit haben vor Ort in enger Abstimmung mit den Kommunen sofort Hand in Hand alles dafür getan – und tun es noch –, den Menschen bei der Bewältigung ihrer existentiellen Sorgen so gut zu helfen wie möglich. Welche Auswirkungen die Hochwasser auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt haben, können wir noch nicht einschätzen. In den Regionen sind die Unternehmen ganz unterschiedlich betroffen, von zum Teil nur kleineren Schäden bis hin zu Ausfällen der gesamten Produktion. Auswirkungen haben aber auch die Beschädigungen der Infrastruktur, von Straßen, Autobahnen, Güterbahnverkehr oder auch von Strom- und anderen Versorgungsleitungen.

Eine große Herausforderung. Aber ich bin sicher, wir werden das gemeinsam schaffen. Die vergangenen Monate der Corona-Pandemie haben gezeigt, wie widerstandsfähig und stark der Arbeitsmarkt in NRW ist.

Arbeitsmarkt im Sommer 2021 auf Erholungskurs
Aktuell ist der Arbeitsmarkt in NRW auf Erholungskurs. Im Juli waren rund 67.000 Menschen weniger arbeitslos als vor einem Jahr. Ein Rückgang um 8,4 Prozent. Auch das Wachstum bei der Beschäftigung hielt weiter an, bald werden wieder 7,1 Millionen Menschen in NRW einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung nachgehen. Besonders hervorzuheben ist der Stellenmarkt. Die Unternehmen suchen nach neuem Personal – und nicht zu wenig: Ab 40.000 neuen Stellenangeboten in einem Monat sprechen wir von einer guten Konjunktur. Diese Schwelle haben wir in NRW im Juli nur um wenige hundert Angebote verfehlt.


Arbeitslosigkeit.
Quelle: Statistik-Service der Bundesagentur für Arbeit

Der unternehmerische Optimismus dahinter ist ein Grund zur Freude. Denn wir erinnern uns: Im Juli vor einem Jahr erreichten die Auswirkungen der Corona-Pandemie am Arbeitsmarkt ihren negativen Höhepunkt. Nach dem ersten Lockdown stand der Arbeitsmarkt massiv unter Druck. 794.000 Menschen waren arbeitslos gemeldet, 22,9 Prozent mehr als nur ein Jahr zuvor. Die Arbeitslosenquote war, was zuvor unvorstellbar schien, binnen dreier Monate um 1,3 Prozentpunkte in die Höhe geschossen.

Die erste Welle der globalen Corona-Pandemie ließ die Frühjahrsbelebung am Arbeitsmarkt nahezu ausfallen. Weltweit brach die Konjunktur ein, Lieferketten waren stark von den gravierenden Eindämmungsmaßnahmen betroffen. Auch die Dienstleistungsbranchen, die in den Jahren zuvor Konjunkturschwankungen ausgeglichen und den Arbeitsmarkt robust gehalten hatten, spürten einen Wirkungstreffer. Das führte überall zu Arbeitsausfällen, vor allem aber zu einem Stopp vieler geplanter Neueinstellungen. Mit einem Schlag war die Dynamik am Arbeitsmarkt eingefroren. Die Zahl der Arbeitslosen stieg, da Menschen, die im Frühjahr normalerweise wieder in Arbeit gefunden hätten, arbeitslos blieben.

Kurzarbeit stabilisiert Arbeitsmarkt
Massenentlassungen blieben aber aus. Schnelle und unbürokratische öffentliche Maßnahmen stützten erfolgreich Unternehmen und Betriebe. Eine wichtige Rolle spielte (und spielt) der massive Einsatz der Kurzarbeit. Schon während der Finanzkrise erfolgreich, stabilisierte sie (und stabilisiert sie noch) landesweit die Zahlen der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Höhepunkt war auch hier das Frühjahr 2020. Im April arbeiteten in NRW über 120.000 Unternehmen mit rund 1,2 Millionen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern verkürzt. Das dämpfte wirkungsvoll den Schock am Arbeitsmarkt. Die Menschen blieben in Arbeit, trotz zum Teil erheblicher Einbußen beim Einkommen. Die Unternehmen konnten ihre eingearbeiteten und bewährten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter halten.


Kurzarbeiterinnen und Kurzarbeiter.
Quelle: Statistik-Service der Bundesagentur für Arbeit

Schrittmacher der Erholung: Industrie und verarbeitendes Gewerbe
Die Erholung setzte schon im August 2020 ein. Die Zahl der Beschäftigten kletterte wieder auf über sieben Millionen. Auch die neuerlichen Virus-Wellen im Herbst und Winter konnten dies nur noch verzögern.

Schrittmacher dieser andauernden Entwicklung ist zu großen Teilen das verarbeitende Gewerbe. Auch deshalb ist die Erholung der Arbeitsmärkte in Regionen wie dem Münsterland, in Ostwestfalen-Lippe und in Südwestfalen aktuell weiter fortgeschritten als in den großen Städten der Rheinschiene. Der „Corona-Effekt“ – ein vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung entwickelter Wert, um die Auswirkungen der Pandemie am Arbeitsmarkt zu messen, – verdeutlicht das eindrücklich. Schon im November und Dezember kehrte sich zum Beispiel in Südwestfalen der Corona-Effekt um, während der im Vergleich anteilig stärker von Dienstleistungen geprägte Arbeitsmarkt im Rheinland noch hinterherhinkt. Besonders die Dienstleistungsbranche spürt die Folgen der notwendigen Eindämmungsmaßnahmen.

Fachkräftesicherung ist die Herausforderung der Zukunft
Die Pandemie hält uns also vor Augen, dass die produzierenden Branchen zu den großen Stärken von NRW zählen. Umso wichtiger wird es für die Zukunft unseres Bundeslandes sein, wie wir mit dem starken Innovationsdruck umgehen, unter dem die Industrie schon seit langem steht.

Damit steht das verarbeitende Gewerbe nicht allein da: In allen Bereichen der Arbeitswelt drängen neue, innovative, in der Regel digitale Techniken massiv in den Markt. Damit Branchen zukunftsfähig bleiben, müssen Unternehmen konsequent in die Erneuerung investieren. Ein weiterer zentraler Erfolgsfaktor ist die Frage, ob Unternehmen in NRW das gut ausgebildete Personal finden, das ihren Weg mitgehen kann. Die ersten Engpässe zeichnen sich jetzt schon wieder ab.

Diesen Punkt haben die Agenturen für Arbeit und Jobcenter schon seit Jahren im Blick. Um Wirtschaft und Arbeitsmarkt zukunftsfähig zu gestalten, müssen wir Antworten finden, wo die Fachkräfte herkommen, mit denen es möglich ist, den Wandel durch moderne Technologien mitzugestalten.

Jugendberufsagenturen – gemeinsam den Nachwuchs fördern
Einen besonderen Stellenwert hat in NRW die berufliche Ausbildung qualifizierter Nachwuchs-Fachkräfte. Ziel der Berufsberatungen in den Jobcentern und Agenturen für Arbeit ist es, junge Menschen beim Übergang von der Schule in den Beruf zu unterstützen.

Ein weiterer Schwerpunkt liegt dabei auch auf jungen Menschen mit nicht ganz optimalen Startchancen. Dreh- und Angelpunkt sind hier die Jugendberufsagenturen. Sie sind die Knotenpunkte, in denen sich für die jungen Menschen alle Angebote, Beratungen und Möglichkeiten der Jobcenter, der Jugendhilfe und der Arbeitsagentur zu einem Ganzen verknüpfen. Gemeinsam wird der Weg für den jungen Menschen geebnet, der passende Ausbildungsplatz oder das geeignete Studium gefunden und damit das Fundament einer stabilen Erwerbsbiografie gelegt.

Eine neue Kultur der Weiterbildung
Doch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung wird das allein in Zukunft nicht reichen. Deshalb sollte die Weiterbildung einen ähnlichen Status wie die Ausbildung erhalten. Ob wir weiterhin die Fachkräfte finden, die wir benötigen, wird auch davon abhängen, ob wir es schaffen, eine neue, innovative Kultur der Weiterbildung auszuprägen.

Jobcenter und Arbeitsagenturen haben auf diese Herausforderung mit einem Fokus auf die Berufsberatung für Erwachsene reagiert. Hier finden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, aber auch Unternehmerinnen und Unternehmer Beratung rund um alle Fragen der Weiterbildung und Qualifizierung. Zudem lässt der Gesetzgeber Unternehmen und Betriebe bei der Qualifizierung ihrer Beschäftigten nicht alleine und hat in den vergangenen Jahren einige neue arbeitsmarktpolitische Unterstützungsmöglichkeiten auf den Weg gebracht. Besonders kleine und mittelständische Unternehmen können von den Förderungen mit bis zu 100 Prozent der Lehrgangskosten und Arbeitsentgeltzuschüssen profitieren.

Langzeitarbeitslosigkeit – eingeschlagenen Weg konsequent weitergehen

Langzeitarbeitslosigkeit – über 1 Jahr Arbeitslosigkeit.
Quelle: Statistik-Service der Bundesagentur für Arbeit

Eine drängende Herausforderung, die durch die Pandemie wieder verschärft wurde, ist die Langzeitarbeitslosigkeit in NRW. Durch den schwächeren Stellenmarkt der vergangenen Monate hat sich das Risiko vieler Menschen erhöht, länger arbeitslos zu bleiben, vielleicht sogar langzeitarbeitslos zu werden.

Doch die Pandemie ist auf handlungsfähige Jobcenter getroffen. Seitdem vor nun schon 15 Jahren die Jobcenter aufgebaut wurden, sind wir in NRW kontinuierlich Schritte zum „Jobcenter der Zukunft“ gegangen. Dienstleistungen und Angebote wurden von gemeinsamen Einrichtungen und kommunalen zugelassenen Trägern immer wieder auf den Prüfstand gestellt und konsequent aus der Perspektive der Bedürfnisse, der Kundinnen und Kunden weiterentwickelt. Das Jobcenter der Zukunft ist ein Knotenpunkt in einem Netz gut funktionierender kommunaler, lokaler und überregionaler Zusammenarbeit. Diese Vernetzung ist aus unserer Sicht ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

In der Corona-Krise hat sich auch bewährt, dass sich die gemeinsamen Einrichtungen und die zugelassenen kommunalen Träger in NRW schon seit Jahren über die Arbeit und Weiterentwicklung ihrer Jobcenter austauschen. In mehreren digitalen Veranstaltungen wurde zwischen den Jobcentern diskutiert, wie Beratung und Unterstützung in Zeiten der Pandemie aussehen kann. Um dem Gesundheitsschutz gerecht zu werden, wurden neue und unterschiedlichste Formen des Austauschs zwischen Mitarbeitenden und den Kundinnen und Kunden ausprobiert. Corona hat uns dabei gezeigt, wie sinnvoll der Einsatz digitaler Instrumente sein kann, jedoch auch wo deren Grenzen liegen.

Der sich erholende Arbeitsmarkt bietet auch Menschen, die länger arbeitslos waren, neue Chancen. Mit dem Teilhabechancengesetz werden sie zudem dabei unterstützt, gefördert bei einem Unternehmen am ersten Arbeitsmarkt die wichtigen Schritte zurück in Arbeit zu tun. Dass dies ein guter und erfolgreicher Weg ist, zeigt – trotz der Auswirkungen der Pandemie am Arbeitsmarkt – eine Vielzahl erfolgreicher Arbeitsaufnahmen.

Gemeinsam Weichen für einen erfolgreichen Arbeitsmarkt stellen
Trotz der insgesamt guten Entwicklung am Arbeitsmarkt werden uns die Auswirkungen der Pandemie noch einiges abverlangen. Wann das Ausgangsniveau von vor der Corona-Krise in allen Branchen wieder erreicht ist, kann niemand mit Sicherheit sagen. NRW kann aber stärker aus der Krise zurückkehren, wenn es uns gelingt, jetzt die Weichen mit Blick auf die Zukunft richtig zu stellen. Das können wir nur gemeinsam. Es wird darauf ankommen, wie wir in einem gesellschaftlichen Dialog Zukunftsfragen, etwa nach der Aus- und Weiterbildung beantworten.


Torsten Withake
Quelle: BA