Den Kreishaushalt weiterentwickeln: Ökonomisch – Sozial – Ökologisch

12. Juli 2023: Von Kreisdirektor und Kreiskämmerer Dr. Linus Tepe und Leiterin der Kämmerei Jutta Grotke[1]

Kein Thema ist so sehr in aller Munde wie das Thema der Nachhaltigkeit. Während dieses Handlungsfeld ganz überwiegend im Bereich des Klimaschutzes und der Klimafolgenanpassung diskutiert wird, ist gerade der kommunale Haushalt das Einfallstor einer umfassenden und über den reinen Klimaschutz hinausgehenden Betrachtungsweise. Denn neben ökologischen Aspekten muss der Haushalt aus ökonomisch und sozial ausgewogen und damit nachhaltig sein.

Nachdem die Verwaltung dem zuständigen Finanzausschuss bereits im 1. Halbjahr 2022 mitgeteilt hatte, das Thema eines Nachhaltigkeitshaushalts (NHH) zu erarbeiten, wurde im Rahmen der Haushaltsberatungen über den Kreishaushalt 2023 Ende des Jahres 2022 einstimmig ein entsprechender Beschluss über das weitere Vorgehen gefasst.
Kerninhalte war zum einen, dass eine interne Arbeitsgruppe, bestehend aus verschiedenen Dezernaten unter Federführung der Kämmerei, einzelne Produktgruppen identifiziert, in denen das Thema Nachhaltigkeit aufgegriffen werden sollte. Die Politik anerkannte, dass eine entsprechende Ausrichtung des Kreishaushalts auf die wesentlichen Produktbereiche erfolgen sollte.
Zum anderen sollte eine, bereits im Zusammenhang mit der Etablierung eines digitalen Haushalts eingesetzte, Steuerungsgruppe, der je Kreistagsfraktion ein Mitglied angehörte, den Prozess politisch begleiten.

Verwaltungsinterner Prozess
Direkt im Januar 2023 tagte die interne Arbeitsgruppe und erarbeite gemeinsam ein Vorgehen zur Etablierung eines NHH. Schnell kristallisierte sich heraus, dass zum einen Beschaffungsvorgänge und Vergaben, beispielsweise in den Zentralen Diensten und der Schul- und Kulturverwaltung das Siegel der Nachhaltigkeit erfüllen könnten, zum anderen aber auch inhaltliche Weiterentwicklungen im Bereich der Kreisentwicklung und der Umweltverwaltung im Fokus stünden.
In der Folgezeit entwickelte die Kämmerei ein einheitliches Format, durch das ein auch optischer Wiedererkennungswert in der Darstellung ermöglicht wird: So identifizierten die beteiligten Abteilungen vordringlich, welche Bezüge die konkrete Produktgruppe zu den 17 SDGs (Sustainable Development Goals der UN) aufweise, die fortan der Beschreibung vorangestellt wird.
Im weiteren Prozess wurden die SDGs mit den strategischen Zielen des Kreises, über die der Kreistag entschieden hatte, übereinandergelegt, um ein Auseinanderfallen zu verhindern. Auch dies wurde in dem vorgenannten Vordruck verankert.

Hieraus ergibt sich ein rundes und abgestimmtes Bild:


Strategische Zieles des Kreises in Übereinstimmung mit den SDGs.
Quelle: Kreis Coesfeld

Daneben wurden operativ zu erreichende Nachhaltigkeitsziele sowie operativ zu ergreifende Maßnahmen erarbeitet, die ebenso dargestellt werden, bevor die finanziellen Auswirkungen prognostiziert werden.

Einbindung der Kreispolitik in den Prozess
Mitte Mai wurden die Zwischenergebnisse der bisherigen Überlegungen den politischen Vertretern vorgestellt, die Vorgehen und Stoßrichtung guthießen. Wichtig war fraktionsübergreifend, dass aus der Entwicklung des NHH kein "Verwaltungsungetüm" werde, sondern für die ehrenamtlichen Politiker/-innen handlebar bliebe. Insbesondere sollten nicht zwingend neue Kennzahlen entwickelt werden. Die Erkenntnisse aus dieser ersten gemeinsamen Sitzung werden aktuell in den Fraktionen beraten.

EU-Taxonomie und kommunale Investitionen
An dieser Stelle sind die Bemühungen des Kreises indes noch nicht zu Ende. Denn nachhaltige Beschaffungen und Investitionen erfordern in der Regel zusätzliche finanzielle Mittel. Und hier rückt für den Kreis insbesondere die EU-Taxonomie-Verordnung[1] in den Fokus der Weiterentwicklung.
Dieses Regelungswerk, das bereits seit Jahren in aller Munde ist, wird für Kommunen und Kreise eine hohe Relevanz entwickeln. Die Verordnung hat den Anspruch, „grüne“ und „nachhaltige“ Investitionen in der EU nach allgemeingültigen und möglichst spezifischen Kriterien zu klassifizieren und so einen verbindlichen Nachhaltigkeitsstandard in der Europäischen Union zu normieren.
Auch wenn die kommunale Familie zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht direkt unter die Berichtspflichten der EU-Taxonomie und die sie begleitenden Verordnungen fällt, denkt der Kreis diese Regelungen im umfassenden NHH gleich mit.[2] Denn die Kriterien der Taxonomie-VO werden schon heute bei der Gewährung „Grüner Kredite“ – und damit einer Finanzierungsmöglichkeit – relevant.
Dabei handelt es sich um zinsbegünstigte Kredite, die für besonders nachhaltige Investitionsprojekte gewährt werden können. Beispielhaft sind hier der Gebäudesektor und die erneuerbaren Energien zu nennen. Allein im Bereich der Verwaltungsgebäude bestand im Betrachtungsjahr 2022 ein bundesweiter kommunaler Investitionsrückstand der deutschen Kommunen i.H.v. 19,48 Mrd. EUR.[3] Allein hier wird also in Zukunft die Nachhaltigkeit gemäß EU-Taxonomie der anstehenden Neu- und Umbauprojekte eine außerordentlich hohe Relevanz haben. Im aktuellen Zinsumfeld dürften die bei Bauprojekten erheblichen Fremdfinanzierungskosten auf absehbare Zeit hoch bleiben, sodass die Kommunen und Kreise nicht auf die EU-Taxonomiekonformität und die damit einhergehenden, zinsbegünstigten grünen Kredite verzichten können.
Auch in anderen Bereichen außerhalb des Gebäudesektors bieten sich zahlreiche kommunale, nachhaltige wirtschaftliche Aktivitäten an, die unter die Nachhaltigkeitskriterien der EU-Taxonomie subsumiert werden können und somit den Zugang zu attraktiven Finanzierungsmöglichkeiten eröffnen. Beispielhaft zu nennen sind die kommunalen Anstrengungen im Bereich E-Auto Ladeinfrastruktur (EU-Taxonomie Annex I Punkt 7.4), die Beteiligung (häufig über beherrschte Investitionsgesellschaften) an Windanlagen, Biogasanlagen und Freiflächenphotovoltaik (EU-Taxonomie Annex I Punkt 4.1, 4.3, 4.8) sowie der ÖPNV (EU-Taxonomie Annex I Punkt 6.3).
Um vor allem für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einen konkreten Mehrwert und ein „Packende“ an dieses zunächst abstrakte Thema zu bekommen, entwickelte die Kämmerei Fragebögen, durch die den Betroffenen ein Rüstzeug an die Hand zu geben, ihr Handeln und ihre Planungen auf die Nachhaltigkeit nach der Taxonomie-VO zu überprüfen. Bereits über 30 kreisrelevante Fragebögen aus dem Anhang der entsprechenden EU-Verordnung[4] sind so entstanden, die die Stoßrichtung einer jeden Maßnahme auflistet und durch konkrete Fragestellungen, die mit „ja“ oder „nein“ zu beantworten sind, zeigen, ob Maßnahmen EU-taxonomiekonform sind.
„Wenngleich wir durch die Verordnung nicht unmittelbar betroffen sind, folgt auch für uns als kommunale Gebietskörperschaft hieraus eine Menge. Denn die Finanzdienstleister sind schon dabei und werden es perspektivisch noch forcieren, dass die Kreditbedingungen für ‚grüne Investitionen‘ für die Investoren deutlich attraktiver sind. Und damit ist es am Ende doch ein Thema für uns“, erläutert Kreisdirektor und Kreiskämmerer Dr. Linus Tepe, warum der Kreis sich dieses Themas annimmt.

Wie es weitergeht
Die weiteren Erkenntnisse werden mit der Steuerungsgruppe in einer Folgesitzung kurz nach den Sommerferien besprochen. Im September, und damit rund vier Wochen vor Einbringung des Kreishaushalts 2024, werden die politischen Gremien über das Vorgehen entscheiden. Die ersten nachhaltigen Produktgruppen werden im Haushalt 2024 berücksichtigt. Im folgenden Jahr werden weitere Vorhaben auf eine stärkere Nachhaltigkeitsausrichtung herausgearbeitet, die dann in den Folgejahren in die Haushalte einfließen.
Flankiert werden soll das aufgezeigte Vorgehen durch eine Nachhaltigkeitsberichtserstattung. Denn neben der Aufstellung eines NHH ist es folgerichtig, ein Konzept dafür zu entwickeln, wie ein strategisches Nachhaltigkeitsmanagement beim Kreis Coesfeld, bestehend aus den Arbeitsschritten „Planen – Umsetzen – Bewerten – Anpassen“ als kontinuierlicher Verbesserungsprozess dauerhaft etabliert werden könnte. Als bedeutsamer Baustein dieses strategischen Nachhaltigkeitsmanagements ist eine entsprechende Nachhaltigkeitsberichterstattung anzusehen, über die die politischen Gremien noch in diesem Jahr entscheiden sollen. Dieses Instrument trägt dazu bei, dass das Ziel nachhaltigen Verwaltungshandelns dauerhaft im Fokus steht.
„Unser gewählter Ansatz des Nachhaltigkeitshaushalts verbindet theoretische Grundlagen und praktische Umsetzbarkeit. Dies ist nicht nur für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wichtig, sondern gewährleistet den Mitgliedern des Kreistags sowie den Städten und Gemeinden auch eine Transparenz des Handelns“, fasst Dr. Tepe den Coesfelder Weg des NHH zusammen.

Dr. Linus Tepe
Quelle: Kreis Coesfeld

Jutta Grotke

[1] Verordnung (EU) 2020/852 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2020 über die Einrichtung eines Rahmens zur Erleichterung nachhaltiger Investitionen und zur Änderung der Verordnung (EU) 2019/2088
[2] Die hohe Relevanz auch für die kommunale Familie zeigt sich durch die seit Oktober 2022 laufende Studie des Instituts für Urbanistik zum Thema „Nachhaltige Finanzierung kommunaler Klimainvestitionen unter Berücksichtigung der EU-Taxonomie (KlimKomInvest)“, finanziert u.a. vom Bundesministerium für Bildung und Forschung vgl. https://difu.de/projekte/nachhaltige-finanzierung-kommunaler-investitionen (letzter Abruf: 06.06.2023)
[3] KfW-Kommunalpanel 2023, abrufbar unter https://www.kfw.de/PDF/Download-Center/Konzernthemen/Research/PDF-Dokumente-KfW-Kommunalpanel/KfW-Kommunalpanel-2023-KF.pdf (letzter Abruf: 17.06.2023)
[4] https://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/HTML/?uri=PI_COM:C(2021)2800&from=EN (letzter Abruf: 05.06.2023)