Kreishaussanierung Schwelm als Schlüsselprojekt für „gute Fläche“

12. Januar 2023: Von Christian Kappenhagen, Gesamtprojektleiter und Fachbereichsleiter Immobilien, Umwelt und Abfall, Kataster und Geoinformationen, und Ulrike Wolff, kaufmännische Projektleiterin Kreishaussanierung, Ennepe-Ruhr-Kreis

Der Ennepe-Ruhr-Kreis verfügt mit 41 Gebäuden und 130.000 m² Fläche über ein Immobilienportfolio, das täglich von ca. 9.000 Menschen genutzt wird. Prägend sind neben den Schulgebäuden, dem Kreishaus mit den Verwaltungsnebenstellen insbesondere die zahlreichen dezentralen Liegenschaften für Jobcenter, Gesundheitsverwaltung, Straßenverkehrsamt und viele weitere Nutzungen, die in den letzten Jahren hinzugekommen sind – oft in kleinen Anmietungen.

Das Immobilienportfolio als Bezugsrahmen für Nachhaltigkeitsbewertungen
Anspruch der Kreisverwaltung ist es, den Nutzerinnen und Nutzern dieser Liegenschaften „gute Flächen“ bereitzustellen. Gut sind Flächen dann, wenn sie den Anforderungen von Nutzern, Ökologie und Ökonomie genügen. Die Portfoliostrategie sieht vor, dass alle Liegenschaften künftig in einen zeitgemäßen, funktionalen und attraktiven Zustand gebracht werden, klimaschonend, sicher und wirtschaftlich betrieben und auf wenige Kernliegenschaften reduziert werden. Die Reduktion des Immobilienportfolios folgt dem Gedanken, dass die wirtschaftlichste und ökologischste Fläche diejenige ist, die erst gar nicht gebaut wird. Der Handlungsdruck zu einer Portfolioreduktion ergibt sich nicht nur aus den haushalterischen Zwängen, sondern insbesondere aus der Schwierigkeit, personelle Kapazitäten für die Bewirtschaftung, Unterhaltung und Sanierungsprojekte eines wachsenden Portfolios zu schaffen. Wenn niemand sich adäquat um die Liegenschaften kümmern kann, sind (zu) viele Gebäude eher Last als Lust – gerade für die Nutzerinnen und Nutzer.

Projektportfolio mit Kreishaus, Verwaltungsnebenstelle und Gefahrenabwehrzentrum


Das alte Kreishaus in Schwelm
Quelle: Ennepe-Ruhr-Kreis

Das 50 Jahre alte Kreishaus in Schwelm (28.000 m²), ein Kind seiner Zeit, sowie eine noch einige Jahre ältere Verwaltungsnebenstelle in Witten (6.200 m²) sind aktuell anstehende Sanierungsfälle. Größere Maßnahmen wurden dort mit Ausnahme von energetischen Sanierungsmaßnahmen an der Gebäudehülle des Kreishauses bisher nicht durchgeführt. Aufgrund von baujahrestypischen Schadstoffbelastungen, Brandschutzmängeln, überalterten technischen und sanitären Anlagen, Durchfeuchtungen, Schäden an Betonbauteilen sowie energetischen Defiziten ist es erforderlich, die Gebäude mit Ausnahme weniger Bauteile bis auf den Rohbau zurück- und anschließend wieder aufzubauen. Während der Bauphase können die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht an den jeweiligen Standorten verbleiben, sondern werden in Interimsstandorten arbeiten.
Im Stadtgebiet von Ennepetal soll der Neubau eines Gefahrenabwehrzentrums bis Ende 2026 fertiggestellt sein Das Gebäude (18.000 m²) wird nicht nur ein Leuchtturmprojekt des Katastrophenschutzes sein, sondern auch verschiedene, bisher dezentrale Standorte zusammenführen, z.B. die Kreisfeuerwehrzentrale und die Tierseuchenbekämpfung. Auch die bisher im Kreishaus verortete Kreisleitstelle und die Abteilung für Bevölkerungsschutz werden in das neue Gefahrenabwehrzentrum einziehen. Die Sanierung des Kreishauses kann daher erst beginnen, wenn diese Auszüge stattgefunden haben. Um die beiden Großprojekte Kreishaussanierung und Neubau Gefahrenabwehrzentrum zeitlich voneinander zu entkoppeln, wird für die Kreisleitstelle ebenfalls eine Interimsoption geprüft.

Strategische Ziele als Ausgangspunkt und Kompass


Das Kunstwerk „Stadtikonografie Schwelm“ von Otto Herbert Hajek vor dem Kreishaus.
Quelle: Ennepe-Ruhr-Kreis

Die Komplexität der Aufgabenstellung mit mehreren Sanierungs-, Bau- und Interimsprojekten machte die Erarbeitung strategischer Leitplanken wichtig, um einen Projektzuschnitt zu definieren, der politischen Zielsetzungen ebenso entspricht wie den baulichen Notwendigkeiten und den funktionalen Anforderungen der Nutzerinnen und Nutzer. Politik und Verwaltung haben sich darauf verständigt, dass das Kreishaus erhalten bleibt und die Sanierung eine langfristige Nutzung in Schwelm ermöglicht, also für weitere 50 Jahre. Auch die Verwaltungsnebenstelle wird langfristig in Witten verortet bleiben. Diese beiden Standorte bilden Kernstandorte der Kreisverwaltung und bündeln soweit möglich Verwaltungsaufgaben. Dem Kreishaus als größtem Verwaltungsstandort mit aktuell rd. 660 Beschäftigten sowie als Sitz des Kreistages und des Landrates kommt hierbei eine besondere Bedeutung zu, die bereits in der Architektur des Gebäudes und dem Kunstwerk „Stadtikonografie Schwelm“ von Otto Herbert Hajek zum Ausdruck kommt.

Moderne Bürolandschaften und Changeprojekt ARBEITSWELT.EN
Die Kreisverwaltung begreift die anstehenden Sanierungsvorhaben nicht nur als herausfordernde Bauprojekte, sondern als Chance den Sprung in eine zeitgemäße Arbeitsumgebung zu schaffen und auch kulturelle, organisatorische und personalwirtschaftliche Veränderungen anzustoßen. Hierzu wurde das Changeprojekt ARBEITSWELT.EN ins Leben gerufen.


Logo ARBEITSWELTEN.EN.
Quelle: Ennepe-Ruhr-Kreis


Das Changeprojekt ARBEITSWELT.EN überzeugt durch offene Bürolandschaften, Bürgerorientierung und Barrierefreiheit sowie Flächeneffizienz, Modernität und Flexibilität.
Quelle: Ennepe-Ruhr-Kreis

Die Verwaltung wird der veränderten Präsenzkultur am Arbeitsplatz und sich verändernden Arbeitsprozessen (Homeoffice, Desksharing, Digitalisierung usw.) Rechnung tragen sowie Fragen der Flächeneffizienz beantworten. Botschafterinnen und Botschafter aus der Mitarbeiterschaft und Führungskräfte sind genauso wie Personalvertretung und Verwaltungsführung intensiv und verantwortlich in den Prozess eingebunden. Zentrale Eckpunkte des Bürokonzeptes sind offene Bürolandschaften, Bürgerorientierung und Barrierefreiheit, Sicherheitsaspekte, Flächeneffizienz, Modernität und Professionalität, Flexibilität und ein Beitrag zum Employer Branding für eine bessere Positionierung im Arbeitsmarkt. Es wird künftig Desksharing mit einer Quote von 0,8 eingeführt, so dass für zehn Beschäftigte acht Arbeitsplätze zur Verfügung stehen. Daneben gibt es eine Vielzahl weiterer Arbeitsmöglichkeiten beispielsweise Rückzugsflächen für konzentriertes Arbeiten, Räume für Team- und Projektarbeit, Treffzonen, Besprechungsräume, einen Bürgerbereich und natürlich einen modernisierten, multifunktionalen und der Öffentlichkeit gewidmeten Sitzungstrakt, der noch stärker für kulturelle und gemeinnützige Veranstaltungen genutzt werden wird und auch den politischen Gremien moderne Beratungsräume und Medientechnik für z.B. Videostreaming zur Verfügung stellt.

Flächeneffizienz und Optimierungspotential für das Gesamtportfolio
Die Sanierung des Kreishauses bietet erhebliches Optimierungspotential für das Gesamtportfolio. Nach derzeitigem Stand können mindestens drei bisher dislozierte Verwaltungseinheiten in das sanierte Kreishaus integriert werden. Darüber hinaus gehende Optimierungspotentiale werden im weiteren Planungsverlauf geprüft und umgesetzt.
Für die Verwaltungsnebenstelle in Witten wird aus Kapazitätsgründen und zur Risikominimierung derzeit kein eigenes Sanierungsprojekt favorisiert, sondern der Kauf oder die Anmietung einer geeigneten Liegenschaft im Wittener Stadtgebiet, zu denen die Marktsondierung gestartet ist. In dem Zusammenhang eröffnen sich Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit in der Form, dass beispielsweise geprüft wird ob und in welchem Umfang Stadt und Kreis künftig Gebäude gemeinsam nutzen können. Es wird das gesamte Portfolio der Verwaltungsliegenschaften betrachtet und geprüft in wie weit Verwaltungseinheiten zusammengefasst oder Liegenschaften, die sich in keinem guten Zustand befinden aufgegeben und an einem neuen Standort in optimierter Form bereitgestellt werden können.

Wirtschaftlicher Anspruch
Die Kreishaussanierung bedeutet eine der größten Investitionen des Ennepe-Ruhr-Kreises. Hierbei werden die Haushaltsmittel wirtschaftlich und lebenszykluskostenoptimiert eingesetzt. Eine reine Reduktion der Bausummen zulasten der Betriebskosten ist nie zielführend. Daher sind fundierte Lebenskostenzyklusberechnungen eine wichtige Grundlage für alle Variantenentscheidungen und werden extern erstellt.  

Ökologischer Anspruch und Nachhaltigkeit
Klimaschutz und Klimafolgenanpassung sind die zentrale Zukunftsaufgabe unserer Gesellschaft, denen sich auch die Kreisverwaltung Ennepe-Ruhr stellt und Klimaneutralität bis 2030 anstrebt. Hierzu müssen insbesondere die Bauvorhaben einen maßgeblichen Beitrag leisten, der als Klimaneutralität des Kreishauses Schwelm und der Verwaltungsnebenstelle Witten definiert wird. Daher werden alle denkbaren Maßnahmen zum Klimaschutz und zur Klimafolgenanpassung geprüft und nur aus technischen oder gewichtigen wirtschaftlichen Erwägungen begründet verworfen („Opt-out“). Beispielhaft seien hier die Nutzung nachhaltiger Baustoffe wie z.B. Lehmputz und Lehmtrockenbau, Cradle2Cradle-Konzepte, die Verwendung gebrauchter Baumaterialien, Dach- und Fassadenbegrünung, Geothermie, Photovoltaik (auch auf Parkflächen), Stromspeicher, Flächenentsiegelung und biodiverse Gestaltung der Außenanlagen genannt.

DGNB-Zertifizierung
Die ökologische, ökonomische, soziokulturelle und funktionale, technische, prozessuale und standortbezogene Qualität an die Sanierung soll durch eine externe Zertifizierung operationalisiert und abgesichert werden. Angedacht ist daher eine Zertifizierung anhand der Kriterien der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB). Ein solcher Standard bietet auch für Politik und Bürgerschaft ein klares Ziel und hilft dabei, komplexe Fragestellungen nicht ins Kleinklein abdriften zu lassen, sondern auf strategischer Ebene zu diskutieren und zu beantworten.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Bauprojekte zwar erst am Anfang stehen, aber die Verständigungen über den Anspruch („Gute Fläche), die Erwartungshaltung von Politik und Mitarbeiterschaft sowie die technischen Möglichkeiten schon einen ersten Reifegrad erreicht haben und langfristige und nachhaltige Ziele common sense geworden zu sein scheinen. Die Zeit der billigen, schnellen und kleinen „Lösungen“ im öffentlichen Bauen ist damit (hoffentlich) vorbei.

Christian Kappenhagen

Quelle: Ennepe-Ruhr-Kreis

Ulrike Wolff