„Motiv Mensch – Sozialen Wandel gestalten“ – Sozialplanung im Rheinisch-Bergischen Kreis

05. April 2022: Von Dr. Katharina Hörstermann, Sozialplanung „Motiv Mensch“, Rheinisch-Bergischer Kreis

Der Rheinisch-Bergische Kreis verfolgt zusammen mit den kreisangehörigen Kommunen, dem Jobcenter Rhein-Berg und der Arbeitsgemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege das Ziel, die Lebensbedingungen der Menschen im Kreisgebiet zu verbessern und allen eine faire Chance auf gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Deshalb beteiligen sich die genannten Akteure seit 2015 gemeinsam unter dem Leitbild „Motiv Mensch – Sozialen Wandel gestalten“ am Aufbau eines kreisweiten Sozialplanungsprozesses. Durch die damit verbundene Optimierung von Steuerungsprozessen sollen Angebote und Leistungen besser auf die bestehenden Bedarfe abgestimmt werden und die Unterstützungsbedarfe der Menschen im Rheinisch-Bergischen Kreis langfristig gemindert beziehungsweise gänzlich vermieden werden.

Bereits seit vielen Jahren gibt es im Rheinisch-Bergischen Kreis zahlreiche Vernetzungs- und Planungsbereiche zu einzelnen sozialen Themenstellungen. 2015 wurde auf Initiative der Dezernentinnen und Dezernenten aus den Bereichen Jugendhilfe sowie Soziales der acht kreisangehörigen Kommunen, der Arbeitsgemeinschaft der Wohlfahrtsverbände sowie der Geschäftsführung des Jobcenters Rhein-Berg die Implementierung einer kreisweit agierenden, strategischen Sozialplanung in den Strategieprozess RBK2020plus aufgenommen. Als wichtiges Steuerungselement soll sie die bestehenden Strukturen aufeinander abstimmen und in einer Gesamtstrategie zusammenführen, so dass die Lebensverhältnisse und Teilhabechancen der Menschen im gesamten Kreisgebiet verbessert und regionale Ungleichheiten abgebaut werden. Als ein strategisches Ziel der Sozialplanung ergibt sich daraus die Sicherung einer nachhaltigen und bedarfsgerechten Infrastruktur unter Berücksichtigung demografischer, wirtschaftlicher und sozialer Entwicklungen – oder kurz gesagt: Motiv Mensch – Sozialen Wandel gestalten.

 

Leitmotiv des Sozialplanungsprozesses im Rheinisch-Bergischen Kreis
Quelle: Sozialplanung „Motiv Mensch“

Für die erfolgreiche Umsetzung der genannten Ziele galt es, bestehenden Steuerungsmustern in der kommunalen Daseinsvorsorge eine neue Rahmung zu geben. Dazu zählte unter anderem, den Sozialraum verstärkt in den Mittelpunkt des Verwaltungshandelns zu stellen.

Daten für Taten
Voraussetzung für die Entwicklung passgenauer Maßnahmen ist eine möglichst präzise Kenntnis der konkreten Lebensumstände der Menschen im Rheinisch-Bergischen Kreis. Nur so ergibt sich die Möglichkeit, frühzeitig problematische Entwicklungen festzustellen, den Bedarf an Hilfen und sozialen Einrichtungen zu messen sowie relevante Handlungsperspektiven passgenau zu entwickeln. Dafür wurde das Kreisgebiet in 81 sogenannte Wohnplätze der Sozialplanung eingeteilt, die im Vergleich zu den bisher üblichen kommunalen oder stadtteilbezogenen Bezugsgrößen kleinere und in sich homogenere Raumeinheiten darstellen (vgl. Abb. 2). Auf dieser räumlichen Aggregationsebene wurde ein Sozialmonitoring mit Daten zu den Themenfeldern Demografie, Daseinsvorsorge, Gesundheit, Jugendhilfe und Pflege aufgebaut. Es verbindet die bisher in einzelnen Fachplanungen bestehenden Berichtswesen beziehungsweise die Erfassung von Sozialdaten zu einer kreisweit einheitlichen Dateninfrastruktur, die die Transparenz über soziale Zustände und Entwicklungsprozesse in den Wohnplätzen des Rheinisch-Bergischen Kreises fördert. So können gesellschaftliche und politische Diskussionen versachlicht und Maßnahmen sowie Handlungsstrategien bedarfsgerecht, räumlich konzentriert und präventiv gestaltet werden.

Wohnplätze der Sozialplanung im Rheinisch-Bergischen Kreis
Quelle: Sozialplanung „Motiv Mensch“

Die kleinräumige Datengrundlage wird daher zunehmend als Grundlage für die Fachplanungen im Sozialbereich eingesetzt. Neben der regelmäßigen kreisweiten Sozialberichterstattung, die einen planungsübergreifenden Blick auf die soziale Lage in den Wohnplätzen gewährt, nutzen mittlerweile auch die Pflegebedarfsplanung und das Kreisjugendamt im Rahmen des Kinder- und Jugendförderplans die Datenstruktur zur Ableitung von Handlungsschwerpunkten und -empfehlungen. Ferner werden die kleinräumigen Indikatoren als objektiver Maßstab für bedarfsgerechte Maßnahmensteuerung genutzt, zum Beispiel bei einem Karies-Präventionsprogramm für Kindertagesstätten, das aufgrund des empirisch nachgewiesenen Zusammenhangs zwischen Kariesbefall bei Kindern und dem sozialen Status der Eltern priorisiert in den Kindestagesstätten angeboten wurde, die in Wohnplätzen mit einem hohen Anteil an Transferleistungsbeziehern liegen. Das weiter unten beschriebene Beispiel des Burscheider Büdchens zeigt zudem beispielhaft, dass sozialräumliche Daten einen wichtigen Baustein bei der Erstellung von Förderanträgen oder integrierten Handlungskonzepten sind.

Die angesprochene Sozialberichterstattung verbindet die kleinräumige Datenanalyse mit einem integrierten und partizipativen Planungsprozess. Durch die Systematisierung der Planungsdialoge und der damit verbundenen organisations- und amtsübergreifenden Vernetzung wird eine koordinierte, strukturierte Zusammenführung und Abstimmung unterschiedlicher Planungsprozesse ermöglicht und Synergien geschaffen. In acht Handlungsräumen, für die die Sozialberichte 2017 und 2021 einen hohen Handlungsbedarf indizierten, wurden in ressortübergreifenden Dialogen Zielgruppen und Handlungsempfehlungen definiert. Die Entwicklung von Maßnahmen und Zielen erfolgt unter Einbezug der Zielgruppe und lokaler Akteure, da diese bedeutsame Wissensträger hinsichtlich spezifischer Lebenszusammenhänge sind und über konkrete Vorstellungen verfügen, wie ihr sozialer Raum im Interesse der anvisierten Entwicklung zu überdenken ist.


Wohnplätze der Sozialplanung im Rheinisch-Bergischen Kreis
Quelle: Sozialplanung „Motiv Mensch“

Kooperationen für das Gemeinwohl – das Beispiel Burscheid-Zentrum Nord
Die Stadt Burscheid ist 2017 mit dem Wohnplatz Zentrum Nord in das beschriebene Planungsverfahren gestartet. Seitdem wurden gemeinsam mit dem Kreisjugendamt, der Katholischen Jugendagentur Leverkusen, Rhein-Berg, Oberberg gGmbH (KJA) sowie dem Jobcenter Rhein-Berg mehrere Unterstützungs- und Hilfsangebote für die dort lebenden jungen Menschen und ihren Familien entwickelt, die vielfach über Armuts- und Migrationserfahrungen verfügen.
Mit dem Burscheider Büdchen wurde 2019 eine niederschwellige Anlaufstelle im Quartier geschaffen, in der zwei Mitarbeitende der KJA den Anwohnern als Ansprechpartner zur Seite stehen und entweder selber unterstützen oder zu passenden Beratungsstellen vermitteln. Auf Wunsch begleiten die Mitarbeitenden auch bei Beratungs- oder Behördenterminen. Zudem werden regelmäßig Sprechstunden externer Beratungsstellen angeboten, beispielsweise durch Mitarbeitende des Netzwerks Wohnungsnot, der Migrations- und Integrationsberatung sowie des Jobcenters. Die Angebote des Büdchens werden von den Menschen im Quartier sehr gut angenommen und die Besucherzahlen steigen kontinuierlich.
Zur Unterstützung junger Menschen beim Übergang in die Erwerbstätigkeit wurde zum einen im Jahr 2020 die Jugendberufsagentur Burscheid gegründet. Sie verknüpft die Kompetenzen der Institutionen und Rechtskreise und hilft jungen Menschen im Übergang Schule-Beruf, die für sie passende und aufeinander abgestimmte Unterstützung zu erhalten, ohne gleichzeitig mehrere Anlaufstellen ansteuern zu müssen. Zum anderen finanziert das Jobcenter über Paragraf 16h SGB II ein Angebot der aufsuchenden Arbeit für Jugendliche und junge Menschen, die von den herkömmlichen sozialen Institutionen nicht mehr erreicht werden (wollen). Eine Jugendsozialarbeiterin unterstützt junge Menschen aus Burscheid bei ihrer Alltagsstrukturierung, der Wahrnehmung ihrer Selbstwirksamkeit und der eigenen Stärken mit dem Ziel, sie zur Aufnahme eines Ausbildungs- oder Beschäftigungsverhältnisses, der Fortführung ihrer schulischen Ausbildung oder der (Wieder-)Inanspruchnahme von Sozialleistungen zu motivieren. Träger des Angebots ist die KJA. Seit 2021 begleitet das Jobcenter zudem im Rahmen des Projekts „Chance.“ Familien im SBG-II-Bezug, die im Wohnplatz Zentrum Nord leben und Kinder im Übergang Schule-Beruf haben. Gemeinsam mit der Katholischen Jugendagentur und der Katholischen Erziehungsberatung e.V. werden in einer aufsuchenden Familienberatung Schritt-für-Schritt-Strategien zur Verbesserung der familiären Situation, der Hilfe zur Selbsthilfe, des sozialen Zusammenhalts, der Erwerbsquote und des Armutsrisikos infolge von (Langzeit-)Arbeitslosigkeit erarbeitet. Das Besondere dabei ist, dass die Beratung zeitgleich alle Familienmitglieder in den Blick nimmt und die Unterstützungsangebote sinnvoll miteinander verzahnt.
Das Beispiel Zentrum-Nord zeigt, wie sozialräumliche Arbeit im Rheinisch-Bergischen Kreis als erfolgreicher Dreiklang aus fachübergreifender Zusammenarbeit der Verwaltungen, der Einbindung des Jobcenters sowie der Wohlfahrtsverbände in enger Abstimmung mit der Politik zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger gelebt wird. Wir sind überzeugt, mit diesem Ansatz eine Antwort auf die Dynamik gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen gefunden zu haben.

Dr. Katharina Hörstermann
Quelle: Rheinisch-Bergischer Kreis