Das Fahrrad zum Alltagsverkehrsmittel machen

12. Januar 2021: von Christopher Schmiegel, Mobilitätsmanager des Kreises Gütersloh

Das Alltagsradwegekonzept des Kreises Gütersloh soll zukünftig sicherstellen, dass sich Radlerinnen und Radler auf eine hochwertige Fahrradinfrastruktur verlassen können. Es benennt wichtige interkommunale Verbindungen und definiert deren Idealzustand. Die Orientierung am bestehenden Straßennetz verdeutlicht dabei den gestiegenen Geltungsanspruch des Fahrrads: Als gleichwertiges Verkehrsmittel sollen dem Fahrrad dieselben direkten Verbindungen wie dem Auto zugänglich gemacht werden. Durch eine Priorisierung der Maßnahmen wird Entscheidungsträger*innen und Planer*innen gleichermaßen eine klare Empfehlung an die Hand gegeben, wie die bestehenden Ressourcen möglichst effektiv eingesetzt werden können. Die Abstimmung mit Kommunen, Vereinen und Gremien auch außerhalb des Kreises Gütersloh ermöglicht dabei eine nahtlose Planung über kommunale Grenzen hinweg.

Ausgangslage
Das Radfahren ist im Kreis Gütersloh seit jeher eine beliebte Freizeitbeschäftigung: Es gibt vielfältige Themenrouten, mehrere Fernradwege verlaufen durch den Kreis und am Wochenende und in Ferienzeiten schwingen sich viele Bürgerinnen und Bürger aufs Rad. Entsprechend gut ausgebaut ist das Radnetz für den Freizeitverkehr in dem ostwestfälischen Kreis.
Allerdings macht die Verkehrswende auch vor dem Kreis Gütersloh keinen Halt: Längst soll das Radfahren mehr sein als ein reines Freizeitvergnügen. Als adäquates Verkehrsmittel für den alltäglichen Verkehr soll das Fahrrad eine Alternative zum Privat-Pkw darstellen. Schnell und sicher per Rad zur Arbeit, zur Schule oder in den Nachbarort – aus diesen Zielvorstellungen ergeben sich veränderte Ansprüche an das Radnetz. Nicht in erster Linie der Freizeitwert ist entscheidend, stattdessen werden direkte, sichere und qualitativ hochwertige Verbindungen nachgefragt. Um diesen Erwartungen gerecht zu werden, benötigt es eine gute Planungsgrundlage. Denn wie sieht ein ideales Netz für den alltäglichen Radverkehr eigentlich aus? Was ist zu tun ist, um diesen Idealzustand herzustellen? Und wo fängt man mit der Maßnahmenumsetzung am besten an?
Bereits in der 2016 veröffentlichten Mobilitätsstrategie des Kreises wurde festgelegt, sich diesen Fragestellungen im Rahmen eines umfassenden Konzeptes zu widmen.
Dessen Fertigstellung erfolgte im September 2020: Das Alltagsradwegekonzept des Kreises dient der Kreisverwaltung zukünftig als Fahrplan für den Ausbau der interkommunalen Radverbindungen.


Alltagsradwegekonzept des Kreises Gütersloh
Quelle: Kreis Gütersloh

Definition der Ziele und Netzentwicklung
Der erste Schritt auf dem Weg zum Konzept war die Definition der planerischen Ziele. Entsprechend der übergeordneten Verwaltungsfunktion des Kreises war die oberste Prämisse die Verknüpfung aller Kommunen: Jede Stadt und Gemeinde des Kreises sollte mit ihren jeweiligen Nachbarkommunen auf möglichst direktem Wege verbunden werden. Um einen effizienten Einsatz der oftmals knappen Ressourcen zu gewährleisten, sollten Parallelverbindungen vermieden werden. Außerdem sollte sich das Netz an den Bedarfen des Radverkehrs orientieren und wichtige Quellen und Ziele berücksichtigen. Die Anbindung von Points of Interest (POI) wie etwa Gewerbegebieten, Bahnhöfen oder Schulen an das Netz war somit eine weitere Voraussetzung.
Basierend auf diesen Zielen wurde seitens der Kreisverwaltung ein erster Netzentwurf entwickelt. Hierbei handelte es sich explizit um eine Idealvorstellung: Nicht der Bestand an Radverkehrsanlagen oder die Umsetzungswahrscheinlichkeit der Verbindungen waren bei der Erstellung entscheidend, sondern der Anspruch, den Radverkehr auf eine Stufe mit dem Autoverkehr zu heben. Es galt, direkte Verbindungen, die ein schnelles Fortkommen für Radfahrende ermöglichen, zu identifizieren. Hieraus ergibt sich beinahe zwangsläufig ein Fokus auf das bestehende Straßennetz: Autostraßen stellen häufig die geradlinigsten Verbindungen zwischen zwei Kommunen dar.
Insgesamt wurden im Kreisgebiet auf diese Weise Alltagsverbindungen mit einer Gesamtlänge von rund 400 Kilometern zu einem Netz zusammengefasst.

Beteiligung der Akteure
Zur Steigerung der Qualität und der späteren Akzeptanz des Konzepts wurde der Netzentwurf im nächsten Schritt mit den Kommunen des Kreises und dem Kreisverband des ADFC abgestimmt. In einem mehrstufigen Verfahren wurden Änderungswünsche und Ergänzungsvorschlage erfasst und geprüft. Das vorläufige Endergebnis wurde mit den Kommunen im Rahmen einer gemeinsamen Konferenz diskutiert. Dieser Prozess resultierte in der Aufnahme und Abänderung zahlreicher Verbindungen und einer Erhöhung der Gesamtnetzlänge um rund 30 Prozent - der endgültige Netzentwurf weist eine Länge von 572 Kilometern auf.
Das Netz hat dabei eine heterogene Struktur. Verbindungen zwischen eher ländlich gelegenen Kommunen sind ebenso enthalten wie eine Verknüpfung der beiden Großstädte Gütersloh und Bielefeld. Um diesem Umstand Rechnung zu tragen wurden sämtliche Verbindungen des Netzes entsprechend ihres Potenzials und ihrer Bedeutung für den Radverkehr in drei Kategorien eingeteilt. Diese Hierarchisierung der Streckenabschnitte erfolgte auf Grundlage eines Punkteschemas. Hierbei wurden Faktoren wie die Erschließungswirkung, die Anbindung von POI sowie bestehende Mobilitätsdaten einbezogen. Darüber hinaus wurden Anmerkungen der Kommunen bei der Einstufung berücksichtigt.


Übersicht der Netzhierarchie.
Quelle: Kreis Gütersloh

Erarbeitung von Qualitätsstandards
In Anlehnung an bestehende Normen wurden nun Qualitätsstandards ausgearbeitet, welche die Idealzustände der unterschiedlichen Verbindungskategorien definieren. Hierbei war es ein Anliegen, einerseits die zukünftigen Entwicklungen der technischen Regelwerke (z.B. der Empfehlungen für Radverkehrsanlagen, kurz: ERA) zu antizipieren sowie andererseits die heterogenen Rahmenbedingungen der Radverbindungen im Kreis abzubilden. Insbesondere sollte ein Angebot geschaffen werden, das die ERA übertrifft, aber unterhalb der hohen Standards von Radschnellwegen anzusiedeln ist. Zwar sind im Einzelfall immer die Gegebenheiten vor Ort wie etwa die Verfügbarkeit von Straßenraum zu berücksichtigen. Wo möglich und sinnvoll sollen die gesetzlichen Mindestanforderungen zukünftig aber übertroffen werden.
Neben Angaben zu Regelbreiten und der Wegeführung enthalten die Standards weitere Qualitätskriterien, die eine hochwertige Infrastruktur und ganzjährige Nutzbarkeit der Anlagen gewährleisten sollen. So finden sich etwa Angaben zu Oberflächen, zur Reinigung, Kontrolle und Beleuchtung der Radwege oder zur Verträglichkeit mit dem Fußverkehr.

Maßnahmenkatalog
Ein Alleinstellungsmerkmal des Alltagsradwegekonzeptes ist es, dass nicht nur der Idealzustand der interkommunalen Radverbindungen abgebildet wird, sondern darüber hinaus konkrete Handlungsempfehlungen zur Zielerreichung erfolgen. Dazu wurde nach der Definition der Standards das gesamte Netz durch das beauftragte Planungsbüro befahren und der Status Quo der Radverkehrsanlagen erhoben. Auf diese Weise konnte der Handlungsbedarf an den einzelnen Streckenabschnitten identifiziert werden. Es bot sich ein vielfältiges Bild: Zeichneten sich einige Verbindungen durch ihre hohe Qualität aus, fehlten andernorts Radwege gänzlich oder entsprachen nicht den neuen Standards. Insgesamt wurden 209 notwendige Maßnahmen identifiziert und zu einem Maßnahmenkatalog zusammengefasst.
Um auf möglichst objektive Weise festzustellen, an welcher Stelle vordringlicher Handlungsbedarf besteht, wurden sämtliche Maßnahmen nun anhand eines Punktesystems priorisiert. Faktoren wie die Bestandsqualität, Verkehrssicherheit oder das Radverkehrspotenzial wurden dabei berücksichtigt. Einerseits soll somit in Zukunft ein effektiver Einsatz der vorhandenen Mittel ermöglicht werden, andererseits kann die Priorisierung die Grundlage zur Abstimmung und Diskussion mit den Kommunen und den Straßenbaulastträgern darstellen.

Zusammenarbeit mit der Regiopolregion Bielefeld und der REGIONALE 2022
Mit dem Radverkehrskonzept der Regiopolregion Bielefeld sowie dem REGIONALE 2022-Projekt Radnetz OWL wurden in Ostwestfalen-Lippe parallel zu dem Alltagsradwegekonzept weitere Radverkehrskonzepte mit regionalem Fokus entwickelt. Allen Beteiligten war es wichtig, dass die verschiedenen Konzepte keinesfalls in Konkurrenz zueinander treten, sondern nahtlos ineinander greifen und eine Planung über kommunale Grenzen hinweg ermöglichen. In regelmäßigen Treffen fand ein enger Austausch statt, die Konzepte wurden hinsichtlich der Routenführung, der Kategorisierung und der Standards aufeinander abgestimmt. Trotz des unterschiedlichen Detaillierungsgrades bilden die Konzepte somit eine gemeinsame Planungsgrundlage.

Ausblick
Wie schnell das Konzept Wirklichkeit werden kann, hängt von zahlreichen Faktoren ab: Welche finanziellen und personellen Ressourcen stehen zur Verfügung? Wie erfolgreich können Grundbesitzverhandlungen geführt werden? Welche Umweltschutzbelange gilt es zu berücksichtigen? Und nicht zuletzt: Wie kann die zielgerichtete und effektive Zusammenarbeit aller Akteure sichergestellt werden? Hierbei wird insbesondere die baulastträgerübergreifende Abstimmung eine Rolle spielen. Mit der gemeinsamen Konzepterstellung und der Vernetzung der zuständigen Akteure wurde das Fundament für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gelegt, das es in Zukunft auszubauen gilt.


Christopher Schmiegel
Quelle: Kreis Gütersloh